Am 06.01.2016 fällte das Landesgericht Wiener Neustadt ein Urteil (Geschäftszahl: 20 Cg 17/15h-18), das die Haftung eines Vermögensberaters bei der Empfehlung von Fremdwährungskrediten behandelte. Das Urteil zeigt, dass eine ausführliche und nachvollziehbare Beratungsdokumentation entscheidend sein kann, um im Streitfall erfolgreich zu sein. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der Berater seinen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten nachgekommen war und ob die Ansprüche der Kläger bereits verjährt waren.
Inhalt der Klage
Die Kläger, ein Ehepaar ohne umfassende finanzielle Vorkenntnisse, forderten die Feststellung, dass der Beklagte für alle aus einer empfohlenen Finanzierungskonstruktion entstandenen Schäden haftet. Die Konstruktion beinhaltete Fremdwährungskredite in Schweizer Franken und Tilgungsträger in Form von Lebensversicherungen. Die Kläger argumentierten, sie seien nicht ausreichend über Risiken wie Wechselkurs- und Tilgungsträgerrisiken informiert worden und hätten sich auf die Beratung des Beklagten verlassen.
Vorbringen der Parteien
Klägerseite: Die Kläger machten geltend, dass die Risiken der empfohlenen Finanzierungsmodelle weder umfassend erklärt noch verständlich dargelegt worden seien. Sie hätten die Risiken nicht vollständig erkannt und die Kreditverträge im Vertrauen auf die Beratung des Beklagten unterzeichnet.
Beklagtenseite: Der Beklagte führte aus, dass er die Kläger sowohl schriftlich als auch mündlich ausreichend über die Risiken informiert habe. Zudem wies er darauf hin, dass die Ansprüche der Kläger bereits verjährt seien, da diese spätestens 2010 von den negativen Entwicklungen Kenntnis erlangt hätten.
Entscheidungen der Vorinstanzen
Das Erstgericht wies die Klage ab, da keine Beratungsfehler nachgewiesen werden konnten. Die Beratungsunterlagen des Beklagten wurden als ausreichend und verständlich bewertet. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Ansprüche verjährt waren, da die Kläger spätestens 2010 die negativen Entwicklungen erkannt haben mussten.
Entscheidung des LG Wiener Neustadt
Das Gericht urteilte, dass die Aufklärung des Beklagten über die Risiken hinreichend war. Es wurde festgestellt, dass die Kläger die Risiken verstanden und durch Unterzeichnung der Beratungsdokumente bestätigt hatten. Das Gericht argumentierte ferner, dass die Ansprüche der Kläger spätestens seit 2011 verjährt waren, da ihnen zu diesem Zeitpunkt die negativen Entwicklungen der Finanzierung bewusst waren.
Das Gericht betonte in seiner Begründung mehrere zentrale Aspekte:
Individuelle Beratungspflichten:
Der Umfang der Beratung hängt maßgeblich von der finanziellen Erfahrung und den individuellen Bedürfnissen der Kunden ab. Bei risikoreichen Produkten ist eine vollständige und verständliche Aufklärung unverzichtbar.
Ausführliche Dokumentation der Beratung:
Ein entscheidender Punkt für die Abweisung der Klage war die detaillierte Dokumentation der Beratungsinhalte. Der Beklagte hatte die Risiken des Finanzierungsmodells, einschließlich der Schwankungen bei Fremdwährungskrediten und Tilgungsträgern, ausführlich und schriftlich dargelegt. Die Unterzeichnung der Beratungsdokumente durch die Kläger wurde als Beweis dafür gewertet, dass sie die Informationen zur Kenntnis genommen und verstanden hatten.
Verjährung der Ansprüche:
Laut § 1489 ABGB beginnt die Verjährungsfrist, sobald der Geschädigte den Schaden und den Verantwortlichen kennt. Das Gericht stellte fest, dass die Kläger spätestens 2010 über die problematischen Entwicklungen informiert waren. Die Verjährung der Ansprüche wurde daher als gegeben angesehen.
Keine Beratungsfehler:
Das Gericht stellte klar, dass die negativen Entwicklungen der Finanzierungsmodelle auf bekannten Risiken beruhten, die den Klägern offengelegt worden waren. Der Beklagte habe keine Zusicherungen gemacht, die über die Risiken hinwegtäuschten.
Mitverschulden der Kläger:
Das Gericht betonte, dass die Kläger selbst eine Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der Unterlagen hatten. Ein leichtfertiges Unterzeichnen der Dokumente könne nicht allein dem Berater angelastet werden.
Beweiswürdigung des Gerichts zu den Zeugenaussagen
Das Gericht stützte seine Beweiswürdigung auf die schriftlichen Dokumente und nahm eine umfassende Analyse der Zuverlässigkeit von mündlichen Aussagen vor. Es stellte fest, dass menschliche Erinnerungen insbesondere in lang andauernden und belastenden Situationen unzuverlässig werden können.
Der erkennende Richter führte aus, dass menschliche Erinnerungen nach so langer Zeit – in diesem Fall neun Jahre seit den streitgegenständlichen Gesprächen – durch wiederholtes Nachdenken und Besprechen unweigerlich verfälscht werden können. Menschen tendieren in solchen Situationen dazu, sich an das zu erinnern, was sie als günstig oder wünschenswert empfinden. Dies sei jedoch nicht als böse Absicht zu verstehen, sondern als unbewusster Prozess, der durch die emotionale Belastung und den Wunsch nach einem bestimmten Prozessergebnis verstärkt werde.
Das Gericht betonte ausdrücklich, dass diese Dynamik für beide Parteien gleichermaßen gelte. Es sei deshalb weder lebensnah noch glaubwürdig, wenn eine der Parteien behauptete, sich noch exakt an alle Details der mündlichen Gespräche erinnern zu können. Insbesondere Aussagen, die von einer Seite über das Fehlen oder die exakte Vermittlung bestimmter Inhalte gemacht wurden, bewertete das Gericht kritisch und zog sie nicht als entscheidungsrelevante Beweise heran.
Die einzige verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Sachlage sah das Gericht in den schriftlich dokumentierten Beweisen. Die Kläger hatten auf Urkunden schriftlich bestätigt, die dort dokumentierten Risikohinweise zur Kenntnis genommen und verstanden zu haben. Das Gericht befand, dass diese Dokumente klar und verständlich formuliert waren. Der Beklagte habe durch diese „selbstgestrickten“ Aufklärungsbögen seine Beratungspflichten erfüllt, indem er Risiken wie Wechselkursverluste, Zinsänderungen und die Volatilität von Tilgungsträgern nachvollziehbar und übersichtlich darlegte.
Die schriftlichen Bestätigungen wurden als starkes Indiz dafür gewertet, dass die Kläger über die relevanten Risiken aufgeklärt worden waren. Das Gericht hielt außerdem fest, dass die Finanzprodukte keine übermäßige Komplexität aufwiesen und von Personen mit durchschnittlicher Bildung und Begabung verstanden werden konnten. Die Kläger hätten zudem wiederholt Mitteilungen des Beklagten erhalten, in denen die aktuellen Verluste detailliert aufgeführt wurden. Dies zeigte aus Sicht des Gerichts, dass die Kläger spätestens 2010 die Risiken des Finanzierungsmodells hätten erkennen können.
Abschließend unterstrich das Gericht, dass es nicht glaubwürdig gewesen wäre, wenn die Parteien versucht hätten, einen vollständigen und genauen Verlauf der Gespräche zu rekonstruieren. Aufgrund dieser Erwägungen stützte sich das Gericht primär auf die dokumentierten Nachweise und sah die Beratungsleistung des Beklagten als hinreichend an.
Zusammenfassung und Praxistipps
Das Urteil verdeutlicht, dass eine transparente und dokumentierte Beratung sowohl für Berater als auch für Kunden von entscheidender Bedeutung ist. Eine sorgfältige Dokumentation schützt Berater vor Haftungsansprüchen und hilft Kunden, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Für Berater und Vermittler: Stellen Sie sicher, dass alle Risiken verständlich dokumentiert und von den Kunden bestätigt werden. Nutzen Sie klar strukturierte Beratungsprotokolle und bewahren Sie Nachweise der Aufklärung auf.
Für Kunden: Lesen Sie Beratungsunterlagen aufmerksam, klären Sie offene Fragen und holen Sie im Zweifel eine Zweitmeinung ein. Bewahren Sie alle relevanten Dokumente auf, um im Streitfall abgesichert zu sein.
Das Urteil wurde nicht im Rechtsinformationssystem (RIS) des Bundes nicht veröffentlicht.
Wiener Neustadt, 07.05.2025
Bildnachweis: envato