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Das Versicherungsrecht ist eine komplexe Materie, insbesondere wenn es um die Abgrenzung und Bewertung der sogenannten wissentlichen Pflichtverletzung geht. Die wissentliche Pflichtverletzung stellt einen zentralen Begriff im Versicherungsrecht dar, vorwiegend in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und ähnliche Berufsgruppen.

Diese Pflichtverletzung bezieht sich auf das bewusste Abweichen von gesetzlichen, vertraglichen oder beruflichen Verpflichtungen, was oftmals zu Schadensersatzforderungen führt.

Der folgende Artikel untersucht die rechtlichen Grundlagen, die Bedingungen und die praktischen Implikationen der wissentlichen Pflichtverletzung im Kontext der Haftpflichtversicherung. Problematisch und existenziell für die Deckung in der Haftpflichtversicherung wird es, wenn der vermeintlich Geschädigte die Schadenherbeiführung durch wissentliche Pflichtverletzung vorbringt.

Was das Gesetz sagt

Im österreichischen Recht ist der Begriff der wissentlichen Pflichtverletzung nicht explizit definiert, sondern wird durch die Interpretation der Gerichte und die Praxis bestimmt. Nach Art 4.I.3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV 1951) sowie Art B.7.1 der Besonderen Bedingungen bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche, die aus einer wissentlichen Pflichtverletzung resultieren.

Die versicherungsrechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der wissentlichen Pflichtverletzung liegt darin, dass sie den Versicherungsschutz ausschließt. Dies schützt die Versichertengemeinschaft vor den Risiken, die aus bewusst rechtswidrigem Verhalten resultieren. Hier lesen Sie Beispiele für marktübliche Ausschlüsse in Versicherungsverbindung:

Artikel 4 Z 3 AVBV 1951
„wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung;“

Artikel 4 Z 3 AVBV, Fassung 1999 iVm Art 7.1 Besondere Bedingungen zur Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für Rechtsanwälte
„wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung;“

„Art 4.1.3 AVBV wird ersetzt durch folgenden Wortlaut: Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Haftpflichtansprüche Dritter infolge wissentlichen Abweichens von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers.“

Artikel 8 Z 2.2 ABHV 2000 und EBHV 2000

„infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen für seine beruflichen Tätigkeiten geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften, sowie infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen Anweisungen oder Bedingungen des Auftraggebers oder dessen Bevollmächtigten oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung.“

Artikel 8 Z 2.2 ABHV 2000 und EBHV 2000 idF 07/2012

„infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen für seine beruflichen Tätigkeiten geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften, sowie infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen Anweisungen oder Bedingungen des Auftraggebers oder dessen Bevollmächtigten oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung.“

§ 4 Z 3 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung in Österreich, AVB-Ö-Ausgabe Jänner 2010

„wegen vorsätzlicher Schadensverursachung oder wegen Schäden durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung.“

Artikel 8 Z 2.2 C_ABHV/EBHV

„infolge vorsätzlichen Zuwiderhandelns gegen für seine beruflichen Tätigkeiten geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften, sowie infolge vorsätzlichen Zuwiderhandelns gegen Anweisungen oder Bedingungen des Auftraggebers oder dessen Bevollmächtigten oder durch sonstige vorsätzliche Pflichtverletzung, soweit der schädigende Erfolg zumindest billigend in Kauf genommen wurde.“

Artikel 5 Z 2.1.2 AVB-A-Allgemein 2018-09

„infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen für seine beruflichen Tätigkeiten geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften, sowie infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen Anweisungen oder Bedingungen des Auftraggebers oder dessen Bevollmächtigten oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung.“

Pkt 1.3.6.4 AVBV 2020

„Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schadenstiftung durch vorsätzliches Handeln (vgl. § 152 VersVG), wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Standesregeln oder Berufsausübungsnormen, Anweisung (Vorgaben) oder Bedingung des Machtgebers (Auftraggebers des Versicherungsnehmers) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung durch den Versicherungsnehmer, dessen Organe oder Repräsentanten oder Erfüllungsgehilfen.“

Voraussetzungen der wissentlichen Pflichtverletzung

Für die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung genügt es, dass der Versicherungsnehmer seine Pflichtverletzung positiv gekannt hat und dass der Pflichtverstoß für den Schaden ursächlich war. Bedingter Vorsatz, also das bewusste Inkaufnehmen eines schädigenden Ereignisses, ist ausreichend. Es ist nicht erforderlich, dass der Versicherungsnehmer die genauen Wortlaute der verletzten Vorschrift kannte; entscheidend ist das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Handlung.

Ein zentraler Punkt bei der Beurteilung einer wissentlichen Pflichtverletzung ist der Vorsatz. Dabei werden unterschiedliche Stufen des Vorsatzes unterschieden:

Direkter Vorsatz: Der Versicherungsnehmer handelt im Bewusstsein, dass sein Verhalten pflichtwidrig ist, und nimmt den Schaden billigend in Kauf.

Bedingter Vorsatz: Der Versicherungsnehmer erkennt die Möglichkeit eines Verstoßes und handelt dennoch. Schon diese Form des Vorsatzes genügt, um den Versicherungsschutz auszuschließen​.

Es ist nicht erforderlich, dass der Versicherungsnehmer die genaue rechtliche Bedeutung seiner Handlung versteht. Es reicht aus, dass er sich der Rechtswidrigkeit seiner Handlung bewusst ist​.

Wer muss was beweisen?

Die Beweislast für das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung liegt beim Versicherer. Dieser muss nachweisen, dass der Versicherungsnehmer die Verletzung seiner Pflichten positiv gekannt hat. Indizienbeweise, wie der äußere Ablauf des Geschehens oder das Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes, können dabei herangezogen werden. So kann aus der Verletzung elementarer beruflicher Pflichten auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit geschlossen werden.

Bindung an Urteile: Was gilt im Haftungsprozess?

Wird in einem Haftungsprozess vom Anspruchsteller die wissentliche Pflichtverletzung bzw das Abweichen von Gesetzen oder Vorschriften vorgeworfen oder vom Gericht festgestellt, ist dies für die Entscheidung des Versicherers, ob Versicherungsschutz gegeben ist oder nicht, bindend, sodass sich der Versicherer auf den Deckungsausschluss berufen wird. Sollte festgestellt werden, dass keine wissentliche Pflichtverletzung vorlag, zum Beispiel durch Beschluss oder Urteil, hat der Versicherungsnehmer rückwirkend Anspruch auf Deckung. Bis zu diesem Zeitpunkt, muss der Versicherungsnehmer jedoch für alle Kosten aufkommen.

Vorwurf der Schadenherbeiführung durch wissentliche Pflichtverletzung und deren Rechtsfolgen

Wenn der vermeintlich Geschädigte dem Versicherungsnehmer vorwirft, Schaden durch wissentliche Pflichtverletzung oder sogar Vorsatz verursacht zu haben, muss die Beurteilung der Deckungsfrage auf dem geltend gemachten Anspruch und dem vom Geschädigten behaupteten Sachverhalt basieren. Dies gilt auch beim vorweggenommenen Deckungsprozess, wie vom OGH bestätigt wurde (OGH 24.04.2019, 7 Ob 142/18k).

Die wichtigste Konsequenz einer wissentlichen Pflichtverletzung ist der Verlust des Versicherungsschutzes. Das bedeutet, dass der Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit wird. Dies ist eine Maßnahme, die sicherstellen soll, dass Versicherungsnehmer ihre vertraglichen Pflichten ernst nehmen und einhalten​.

Für Versicherungsnehmer kann dies bedeuten, dass sie im Schadensfall selbst für die entstandenen Kosten aufkommen müssen, was insbesondere bei hohen Vermögensschäden gravierende finanzielle Folgen haben kann.

Entlastung durch rechtmäßiges Alternativverhalten?

In bestimmten Fällen besteht für Versicherungsnehmer die Möglichkeit, sich zu entlasten, indem sie nachweisen, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Diese sogenannte „rechtmäßige Alternativverhalten“-Klausel ist in speziellen Haftpflichtversicherungen, wie der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, enthalten. Der Nachweis ist jedoch oft schwierig und erfordert eine umfassende Dokumentation sowie rechtliche Beratung.

Judikatur

In der Rechtsprechung finden sich zahlreiche Fälle, die die Konsequenzen einer wissentlichen Pflichtverletzung aufzeigen. Ein prominentes Beispiel ist ein Fall, in dem ein Anwalt eine Zahlung vornahm, ohne die rechtlichen Bedingungen ausreichend zu prüfen, obwohl ihm die Unregelmäßigkeiten bekannt waren. Die Gerichte entschieden, dass diese Pflichtverletzung wissentlich erfolgt war und der Versicherungsschutz entfiel​.

Auch in der Versicherungsvermittlung können wissentliche Pflichtverletzungen auftreten, z. B. wenn ein Vermittler vorsätzlich falsche oder unvollständige Informationen zu einem Produkt gibt, um eine Provision zu erzielen. In solchen Fällen kann der Versicherungsschutz verweigert werden, wenn ein Kunde aufgrund dieser Pflichtverletzung einen Schaden erleidet.

Hinweis: Ausgewählte Beispiele aus der Judikatur und Literatur finden Sie am Ende des Artikels.

So schützen Sie sich vor dem Deckungssausschuss

Um eine wissentliche Pflichtverletzung und deren Folgen zu vermeiden, sollten Versicherungsnehmer folgende Maßnahmen ergreifen.

Präventive Maßnahmen und Empfehlungen

  • Sorgfältige Dokumentation: Alle Handlungen und Entscheidungen sollten schriftlich festgehalten werden, um im Bedarfsfall nachweisen zu können, dass keine bewusste Pflichtverletzung vorlag.
  • Rechtsberatung einholen: Im Zweifelsfall sollte eine rechtliche Prüfung erfolgen, um sicherzustellen, dass alle Maßnahmen im Einklang mit den vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben stehen.
  • Regelmäßige Schulungen: Versicherungsnehmer sollten sich kontinuierlich über Änderungen in relevanten Gesetzen und Versicherungsbedingungen informieren.
  • Interne Kontrollen: Ein System zur Überprüfung der Einhaltung aller Pflichten kann helfen, wissentliche Pflichtverletzungen zu verhindern.

Bewusstsein schützt vor bösem Erwachen: Conclusio und Empfehlungen

Die wissentliche Pflichtverletzung ist ein zentraler Begriff im Haftpflichtversicherungsrecht, der dazu dient, die Grenzen des Versicherungsschutzes klar zu definieren und Versicherer vor vorsätzlich oder bewusst fahrlässigem Verhalten zu schützen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Praxis zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung der Umstände und der Beweisführung notwendig ist, um eine wissentliche Pflichtverletzung festzustellen. Die juristische Praxis bietet dabei zahlreiche Beispiele, die die Bedeutung und die Anwendung dieses Begriffs verdeutlichen. Schon der Vorwurf einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der Versicherungsdeckung führen, und so zu einem finanziellen Problem für den Versicherungsnehmer werden.

Ein umsichtiges Vertragsmanagement und die Einhaltung aller Obliegenheiten schützen nicht nur den Versicherungsschutz, sondern bewahren den Versicherungsnehmer vor finanziellen und rechtlichen Nachteilen.

OGH 24.04.2019, 7 Ob 142/18k

https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20190424_OGH0002_0070OB00142_18K0000_000/JJT_20190424_OGH0002_0070OB00142_18K0000_000.html

OGH 19.2.2020, 7 Ob 161/19f

https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20200219_OGH0002_0070OB00161_19F0000_000/JJT_20200219_OGH0002_0070OB00161_19F0000_000.html

OGH 19.2.2020, 7 Ob 70/19y

https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20200424_OGH0002_0070OB00206_19Y0000_000/JJT_20200424_OGH0002_0070OB00206_19Y0000_000.html

OGH 27.1.2021, 7 Ob 148/20w,

https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20210127_OGH0002_0070OB00148_20W0000_000/JJT_20210127_OGH0002_0070OB00148_20W0000_000.html

flOGH 5.5.2023, 09 CG.2021-299, PSR 2023/51

OGH 27.9.2023, 7 Ob 96/23b

https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20230927_OGH0002_0070OB00096_23B0000_000/JJT_20230927_OGH0002_0070OB00096_23B0000_000.html

Fachverband der Versicherungsmakler und Berater in Versicherungsangelegenheiten, Versicherungsrechts-NEWS 11/2019, https://www.wko.at/oe/information-consulting/versicherungsmakler-schlichtungsstellen/versicherungsrechts-news-11-2019.pdf (Stand 08.07.2024), 8

Grubmann, VersVG9 III.2.9.4 Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für RA Allgemeine Bedingungen für die Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für Rechtsanwälte (Stand 1.7.2022, rdb.at)

Grubmann, VersVG9 III.2.9.2 AVBV Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschaden1) (Stand 1.7.2022, rdb.at)

OGH, Vorweggenommener Deckungsprozess in der Haftpflichtversicherung, https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/vorweggenommener-deckungsprozess-in-der-haftpflichtversicherung/ (Stand 08.07.2024)

Michtner, Bewusstes Zuwiderhandeln gegen behördliche Vorschriften und wissentliche Pflichtverletzung – durchsetzbare Risikoausschlüsse in der Haftpflichtversicherung?, versdb print 2024 H 13ff

VKI, Haftpflichtversicherung: vorweggenommener Deckungsprozess, https://verbraucherrecht.at/urteil-haftpflichtversicherung-vorweggenommener-deckungsprozess/4234?id=49&tx_ttnews%5Btt_news%5D=4418&cHash=X (Stand 08.07.2024).

Reisinger, Salficky, Haftpflichtversicherung: Trennungsprinzip, vorweggenommener Deckungsprozess, ZVers 2019, H 5, 265ff

Kriwanek, Tuma, Haftpflichtversicherung: Vorweggenommener Deckungsprozess, RdW 2019, H 8, 533ff

Vonkilch, Das Vorbringen des geschädigten Dritten im vorweggenommen Deckungsprozess, ZVers 2023 H 2, 46ff

 

Wiener Neustadt, 15.07.2025

Bildnachweis: envato

Mit Urteil vom 8. Mai 2025 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C‑697/23 eine richtungsweisende Entscheidung zur Anwendung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung getroffen. Im Fokus stand die Frage, ob ein Online-Vergleichsdienst, der Versicherungsangebote mittels eines Benotungssystems darstellt, als vergleichende Werbung im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts einzustufen ist. Die Entscheidung betrifft nicht nur den Versicherungssektor, sondern entfaltet Signalwirkung für digitale Plattformen, die Informationen zu Leistungen anderer Unternehmen aufbereiten, ohne selbst als Anbieter dieser Leistungen aufzutreten.

Vorbringen der Klägerseite

Im Ausgangsverfahren machte ein Versicherungsunternehmen geltend, dass ein auf einer Vergleichsplattform eingesetztes System zur Vergabe sogenannter Tarifnoten unzulässig sei. Die Noten würden als vermeintlich objektive Bewertung dargestellt, obwohl sie tatsächlich ein Werturteil darstellten und damit nicht den Anforderungen an einen objektiven, relevanten und nachprüfbaren Produktvergleich gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG bzw. Art. 4 Buchst. c der Richtlinie 2006/114/EG genügten. Dies führe zu einer Irreführung der Verbraucher und stelle eine unzulässige vergleichende Werbung dar. Die Klägerseite begehrte Unterlassung und Schadensersatz.

Entgegnung der Plattformbetreiber

Die beklagte Plattform wies die Vorwürfe zurück. Sie argumentierte, dass sie selbst keine Versicherungsprodukte anbiete, sondern lediglich den Markt überblickbar mache und den Nutzenden die Möglichkeit gebe, Angebote auf Grundlage transparenter Bewertungskriterien zu vergleichen. Die vergebenen Noten beruhten auf einem Punktesystem, das objektive Parameter berücksichtige. Als reiner Vermittler sehe man sich nicht im Wettbewerb mit dem bewerteten Versicherungsunternehmen und könne daher nicht dem Regime der vergleichenden Werbung unterfallen.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Der Europäische Gerichtshof stellte klar, dass die Richtlinie 2006/114/EG nur dann Anwendung findet, wenn ein Werbender als Mitbewerber im Sinne des Art. 2 Buchst. c anzusehen ist. Entscheidend ist dabei, ob zwischen dem Werbenden und dem erkennbar gemachten Unternehmen ein Wettbewerbsverhältnis besteht. Im konkreten Fall verneinte der EuGH ein solches Verhältnis zwischen einem Vergleichsportal und einem Versicherungsunternehmen. Da das Portal selbst keine Versicherungsprodukte anbietet, sondern lediglich deren Merkmale darstellt und Nutzer über einen Vermittlungsmechanismus zu den Anbietern weiterleitet, fehlt es an der erforderlichen Substituierbarkeit der Leistungen. Das Vergleichsportal tritt nicht auf demselben Markt auf wie das Versicherungsunternehmen und kann damit nicht als Mitbewerber im Sinne der Richtlinie gelten.

Folglich unterliegt ein solcher Vergleichsdienst nicht den besonderen Voraussetzungen für zulässige vergleichende Werbung, solange er selbst keine Versicherungsleistungen anbietet. Auch die Nutzung eines Benotungssystems stellt in diesem Zusammenhang keine unzulässige Werbung dar, sofern der Plattform keine Anbieterrolle zukommt.

Begründung des Urteils

Die Begründung des EuGH fußt auf der präzisen Abgrenzung zwischen einem tatsächlichen Mitbewerber und einem reinen Vermittler. Da ein Vermittlungsdienst nicht selbst Versicherungsprodukte oder -dienstleistungen anbietet, besteht im konkreten Fall kein Wettbewerbsverhältnis im rechtlichen Sinne. Der Gerichtshof betonte ausdrücklich, dass die Anwendung der Richtlinie stets voraussetzt, dass der Werbende und der erkennbar gemachte Anbieter auf demselben Markt tätig sind und ihre Leistungen zumindest teilweise substituierbar sind.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs entfaltet erhebliche praktische Relevanz für die Regulierung und Bewertung von Online-Vergleichsportalen im Verhältnis zu Versicherungsunternehmen. Indem der Gerichtshof klargestellt hat, dass ein Vergleichsdienst, der selbst keine Versicherungsprodukte anbietet, im Verhältnis zu Versicherern nicht als Mitbewerber im Sinne der Richtlinie 2006/114/EG anzusehen ist, wird eine klare Trennlinie zwischen werblichem Wettbewerb und neutraler Vermittlungstätigkeit gezogen.

Damit bestätigt der Gerichtshof die Rolle digitaler Vermittlungsdienste, die sich durch das Angebot von Vergleichsinformationen und durch die technische Ermöglichung von Vertragsabschlüssen zwar in die Wertschöpfungskette einschalten, ohne jedoch selbst als Anbieter der beworbenen Produkte zu agieren. Gleichwohl bleibt es nationalen Gerichten weiterhin vorbehalten, im Einzelfall zu prüfen, ob das konkrete Geschäftsmodell tatsächlich keine Substituierbarkeit mit den Leistungen der bewerteten Anbieter aufweist.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier: EuGH C-697/23.

Wiener Neustadt, 03.06.2025

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Am 06.01.2016 fällte das Landesgericht Wiener Neustadt ein Urteil (Geschäftszahl: 20 Cg 17/15h-18), das die Haftung eines Vermögensberaters bei der Empfehlung von Fremdwährungskrediten behandelte. Das Urteil zeigt, dass eine ausführliche und nachvollziehbare Beratungsdokumentation entscheidend sein kann, um im Streitfall erfolgreich zu sein. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der Berater seinen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten nachgekommen war und ob die Ansprüche der Kläger bereits verjährt waren.

Inhalt der Klage

Die Kläger, ein Ehepaar ohne umfassende finanzielle Vorkenntnisse, forderten die Feststellung, dass der Beklagte für alle aus einer empfohlenen Finanzierungskonstruktion entstandenen Schäden haftet. Die Konstruktion beinhaltete Fremdwährungskredite in Schweizer Franken und Tilgungsträger in Form von Lebensversicherungen. Die Kläger argumentierten, sie seien nicht ausreichend über Risiken wie Wechselkurs- und Tilgungsträgerrisiken informiert worden und hätten sich auf die Beratung des Beklagten verlassen.

Vorbringen der Parteien

Klägerseite: Die Kläger machten geltend, dass die Risiken der empfohlenen Finanzierungsmodelle weder umfassend erklärt noch verständlich dargelegt worden seien. Sie hätten die Risiken nicht vollständig erkannt und die Kreditverträge im Vertrauen auf die Beratung des Beklagten unterzeichnet.

Beklagtenseite: Der Beklagte führte aus, dass er die Kläger sowohl schriftlich als auch mündlich ausreichend über die Risiken informiert habe. Zudem wies er darauf hin, dass die Ansprüche der Kläger bereits verjährt seien, da diese spätestens 2010 von den negativen Entwicklungen Kenntnis erlangt hätten.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Erstgericht wies die Klage ab, da keine Beratungsfehler nachgewiesen werden konnten. Die Beratungsunterlagen des Beklagten wurden als ausreichend und verständlich bewertet. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Ansprüche verjährt waren, da die Kläger spätestens 2010 die negativen Entwicklungen erkannt haben mussten.

Entscheidung des LG Wiener Neustadt

Das Gericht urteilte, dass die Aufklärung des Beklagten über die Risiken hinreichend war. Es wurde festgestellt, dass die Kläger die Risiken verstanden und durch Unterzeichnung der Beratungsdokumente bestätigt hatten. Das Gericht argumentierte ferner, dass die Ansprüche der Kläger spätestens seit 2011 verjährt waren, da ihnen zu diesem Zeitpunkt die negativen Entwicklungen der Finanzierung bewusst waren.

Das Gericht betonte in seiner Begründung mehrere zentrale Aspekte:

Individuelle Beratungspflichten:

Der Umfang der Beratung hängt maßgeblich von der finanziellen Erfahrung und den individuellen Bedürfnissen der Kunden ab. Bei risikoreichen Produkten ist eine vollständige und verständliche Aufklärung unverzichtbar.

Ausführliche Dokumentation der Beratung:

Ein entscheidender Punkt für die Abweisung der Klage war die detaillierte Dokumentation der Beratungsinhalte. Der Beklagte hatte die Risiken des Finanzierungsmodells, einschließlich der Schwankungen bei Fremdwährungskrediten und Tilgungsträgern, ausführlich und schriftlich dargelegt. Die Unterzeichnung der Beratungsdokumente durch die Kläger wurde als Beweis dafür gewertet, dass sie die Informationen zur Kenntnis genommen und verstanden hatten.

Verjährung der Ansprüche:

Laut § 1489 ABGB beginnt die Verjährungsfrist, sobald der Geschädigte den Schaden und den Verantwortlichen kennt. Das Gericht stellte fest, dass die Kläger spätestens 2010 über die problematischen Entwicklungen informiert waren. Die Verjährung der Ansprüche wurde daher als gegeben angesehen.

Keine Beratungsfehler:

Das Gericht stellte klar, dass die negativen Entwicklungen der Finanzierungsmodelle auf bekannten Risiken beruhten, die den Klägern offengelegt worden waren. Der Beklagte habe keine Zusicherungen gemacht, die über die Risiken hinwegtäuschten.

Mitverschulden der Kläger:

Das Gericht betonte, dass die Kläger selbst eine Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der Unterlagen hatten. Ein leichtfertiges Unterzeichnen der Dokumente könne nicht allein dem Berater angelastet werden.

Beweiswürdigung des Gerichts zu den Zeugenaussagen

Das Gericht stützte seine Beweiswürdigung auf die schriftlichen Dokumente und nahm eine umfassende Analyse der Zuverlässigkeit von mündlichen Aussagen vor. Es stellte fest, dass menschliche Erinnerungen insbesondere in lang andauernden und belastenden Situationen unzuverlässig werden können.

Der erkennende Richter führte aus, dass menschliche Erinnerungen nach so langer Zeit – in diesem Fall neun Jahre seit den streitgegenständlichen Gesprächen – durch wiederholtes Nachdenken und Besprechen unweigerlich verfälscht werden können. Menschen tendieren in solchen Situationen dazu, sich an das zu erinnern, was sie als günstig oder wünschenswert empfinden. Dies sei jedoch nicht als böse Absicht zu verstehen, sondern als unbewusster Prozess, der durch die emotionale Belastung und den Wunsch nach einem bestimmten Prozessergebnis verstärkt werde.

Das Gericht betonte ausdrücklich, dass diese Dynamik für beide Parteien gleichermaßen gelte. Es sei deshalb weder lebensnah noch glaubwürdig, wenn eine der Parteien behauptete, sich noch exakt an alle Details der mündlichen Gespräche erinnern zu können. Insbesondere Aussagen, die von einer Seite über das Fehlen oder die exakte Vermittlung bestimmter Inhalte gemacht wurden, bewertete das Gericht kritisch und zog sie nicht als entscheidungsrelevante Beweise heran.

Die einzige verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Sachlage sah das Gericht in den schriftlich dokumentierten Beweisen. Die Kläger hatten auf Urkunden schriftlich bestätigt, die dort dokumentierten Risikohinweise zur Kenntnis genommen und verstanden zu haben. Das Gericht befand, dass diese Dokumente klar und verständlich formuliert waren. Der Beklagte habe durch diese „selbstgestrickten“ Aufklärungsbögen seine Beratungspflichten erfüllt, indem er Risiken wie Wechselkursverluste, Zinsänderungen und die Volatilität von Tilgungsträgern nachvollziehbar und übersichtlich darlegte.

Die schriftlichen Bestätigungen wurden als starkes Indiz dafür gewertet, dass die Kläger über die relevanten Risiken aufgeklärt worden waren. Das Gericht hielt außerdem fest, dass die Finanzprodukte keine übermäßige Komplexität aufwiesen und von Personen mit durchschnittlicher Bildung und Begabung verstanden werden konnten. Die Kläger hätten zudem wiederholt Mitteilungen des Beklagten erhalten, in denen die aktuellen Verluste detailliert aufgeführt wurden. Dies zeigte aus Sicht des Gerichts, dass die Kläger spätestens 2010 die Risiken des Finanzierungsmodells hätten erkennen können.

Abschließend unterstrich das Gericht, dass es nicht glaubwürdig gewesen wäre, wenn die Parteien versucht hätten, einen vollständigen und genauen Verlauf der Gespräche zu rekonstruieren. Aufgrund dieser Erwägungen stützte sich das Gericht primär auf die dokumentierten Nachweise und sah die Beratungsleistung des Beklagten als hinreichend an.

Zusammenfassung und Praxistipps

Das Urteil verdeutlicht, dass eine transparente und dokumentierte Beratung sowohl für Berater als auch für Kunden von entscheidender Bedeutung ist. Eine sorgfältige Dokumentation schützt Berater vor Haftungsansprüchen und hilft Kunden, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Für Berater und Vermittler: Stellen Sie sicher, dass alle Risiken verständlich dokumentiert und von den Kunden bestätigt werden. Nutzen Sie klar strukturierte Beratungsprotokolle und bewahren Sie Nachweise der Aufklärung auf.

Für Kunden: Lesen Sie Beratungsunterlagen aufmerksam, klären Sie offene Fragen und holen Sie im Zweifel eine Zweitmeinung ein. Bewahren Sie alle relevanten Dokumente auf, um im Streitfall abgesichert zu sein.

Das Urteil wurde nicht im Rechtsinformationssystem (RIS) des Bundes nicht veröffentlicht.

Wiener Neustadt, 07.05.2025

Bildnachweis: envato

Am 23. April 2025 fand im Rahmen der Höher Akademie das Webinar „OGH-Entscheidungen zu Kreditbearbeitungsgebühren – Was nun? Was tun?“ statt. Im Mittelpunkt standen zwei aktuelle Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (OGH), die die Zulässigkeit von Kreditbearbeitungsgebühren einschränken. Die Teilnehmer erhielten praxisnahe Einblicke aus Sicht eines Rechtsanwalts, der Standesvertretung und der Berufshaftpflichtversicherung.

OGH-Urteile und ihre Bedeutung

Dr. Raphael Toman (Brandl Talos Rechtsanwält:innen GmbH) erläuterte, dass Kreditbearbeitungsgebühren in bestimmten Fällen als intransparent und somit unzulässig eingestuft wurden. Kreditvermittler sind grundsätzlich nicht verpflichtet, frühere Kunden nachträglich zu informieren, sofern keine gesonderte vertragliche Nachbetreuungspflicht vereinbart wurde. Eine Rückforderung von Vermittlungsprovisionen durch die Bank ist vom Einzelfall abhängig. Dr. Toman warnte ausdrücklich vor der Weitergabe von Kundendaten an Prozessfinanzierer, da dies sowohl gegen Datenschutzbestimmungen als auch gegen das Bankgeheimnis verstoßen könnte.

Verbraucherkreditgesetz „neu“ und Standesvertretung

Mag. Hannes Dolzer von der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband Finanzdienstleister stellte die Rolle des Fachverbands dar. Dieser informiert seine Mitglieder laufend und unterstützt sie juristisch. Dolzer berichtete außerdem über die geplante Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie der EU in österreichisches Recht. Das neue Verbraucherkreditgesetz soll bis Ende 2025 beschlossen und ab November 2026 gültig sein. Es wird unter anderem die anteilige Rückerstattung von Kreditkosten bei vorzeitiger Tilgung regeln und neue Anforderungen an die Branche stellen.

Berufshaftpflichtversicherung und Haftungsfragen

René Hompasz (Höher Insurance Services GmbH) klärte über die Unterschiede zwischen beratender und gutachterlicher Tätigkeit auf. Ein Kreditvermittler handelt im Auftrag des Kunden und ist nicht objektiv wie ein Gutachter. Die gewerbliche Vermögensberatung ist nicht den §§ 26–31a Maklergesetz unterstellt, weshalb keine automatische Nachbetreuungspflicht besteht. Hompasz betonte, dass die Berufshaftpflichtversicherung nur bei tatsächlichen Pflichtverletzungen Schutz bietet und keine generelle Entschädigungseinrichtung für Kunden darstellt. Er riet zu größter Sorgfalt in der täglichen Arbeit, um Haftungsfälle zu vermeiden. Es wurde hervorgehoben, dass in den Musterbedingungen für Vermögensschäden (AVBV 1951) die Rückforderung von Provisionen, Honoraren und ähnlichen Ansprüchen ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist. Die am Markt üblichen Versicherungsbedingungen basieren weitgehend auf den AVBV 1951 und enthalten nahezu ausnahmslos vergleichbare Ausschlüsse hinsichtlich der Provisionsrückforderung.

Resümee

Das kostenlos angebotene Webinar verzeichnete rund 600 Teilnehmer. Ein besonderer Dank gilt der Rechtsanwaltskanzlei Brandl Talos Rechtsanwält:innen GmbH sowie der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband Finanzdienstleister, die im Rahmen der Höher Akademie die kostenlose Durchführung ermöglicht haben.

Die Resonanz der Teilnehmer war ausgesprochen positiv. Sowohl die inhaltliche Gestaltung des Webinars als auch die fachliche Kompetenz und der praxisnahe Vortragsstil der Referenten wurden überdurchschnittlich gut bewertet. Auch die technische Umsetzung fand große Anerkennung. Insgesamt bestätigen die hervorragenden Rückmeldungen eindrucksvoll den Erfolg der Veranstaltung.

Die nächsten Weiterbildungstermine der Höher Akademie finden Sie hier: https://www.hoeher.info/akademie/termine/.

Die Aufzeichnung des Webinars „OGH-Entscheidungen zu Kreditbearbeitungsgebühren – Was nun? Was tun?“ ist verfügbar unter: https://www.meine-weiterbildung.at/kurs/ced6a993.

Wiener Neustadt, 06.05.2025

Am 13. März 2025 hatte die Höher Akademie das Vergnügen, Georg Winter von der GrECo International Holding AG als Referenten zu begrüßen. Sein Vortrag zum Thema „Strategien für moderne Risikosteuerung und Unversicherbarkeit“ behandelte zentrale Fragen, die Unternehmen in einer zunehmend komplexen Risikolandschaft bewegen.

Die Veranstaltung startete mit einer Analyse aktueller Herausforderungen. Anschaulich wurde aufgezeigt, wie globale Krisen, Umweltrisiken, gesellschaftliche Veränderungen und die digitale Transformation zu einer Ausweitung und Veränderung von Risiken führen, die oft nicht mehr oder nur schwer versicherbar sind. Besonders eindrücklich wurden die wachsende Schere der Unversicherbarkeit und deren Konsequenzen für Unternehmen dargestellt.

Ein Schwerpunkt des Vortrags lag auf der Bedeutung einer ausgewogenen Risikofinanzierung. Verschiedene Ansätze zur Risikosteuerung wurden vorgestellt, darunter Vermeidung, Verminderung und Risikotransfer. Besonderes Augenmerk wurde auf die zunehmende Relevanz der Risikoeigentragung mittels sogenannter Captive-Versicherungen gelegt. Captives sind unternehmenseigene Versicherungsgesellschaften, die speziell zur Abdeckung von Risiken aus der Konzernfamilie gegründet werden und somit als effektive Risikomanagementinstrumente strategische Vorteile bieten.

Georg Winter erläuterte die Wirkungsweise und Vorzüge von Captives, darunter Kosteneinsparungen bei Gesamtrisikokosten und im Risikotransfer, die Möglichkeit, langfristig Kapital aufzubauen sowie Schutz vor Schwankungen auf dem Versicherungsmarkt. Er stellte anschaulich verschiedene Formen von Captives vor, wie Single Parent, Multi Parent, Protected Cell und Virtual Captives sowie die Unterschiede zwischen Erstversicherungs- und Rückversicherungs-Captives.

Ein weiterer interessanter Aspekt waren die finanziellen Vorteile von Captives im Vergleich zur internen Selbstversicherung (z.B. über Cash-Flow), insbesondere in bereits etablierten Domizilen mit günstigen regulatorischen Rahmenbedingungen. Diese erlauben steuerbegünstigte Rückstellungen, die den Kapitalaufbau zur Risikotragung unterstützen.  Gleichzeitig wurden die regulatorischen Herausforderungen in Österreich kritisch beleuchtet. Captives sind hierzulande steuerrechtlichen Nachteilen und der Handhabung des komplexen Aufsichtsrechts ausgesetzt, was viele österreichische Unternehmen veranlasst, ihre Captives im Ausland zu gründen.

Zum Abschluss machte Georg Winter deutlich, dass Österreich attraktive Rahmenbedingungen schaffen sollte, um Captives als strategisches Instrument zur Risikosteuerung für heimische Unternehmen zugänglicher zu machen. Denn letztendlich stärken Captives die Resilienz von Unternehmen und helfen, in einer zunehmend unsicheren Welt nachhaltiger zu agieren.

Q&A

Am Ende des Vortrags von Georg Winter blieb noch Zeit für eine ausführliche Q&A-Session. Hier die interessantesten Fragen und Antworten zum Nachlesen:

Versicherbarkeit von Industrierisiken

Antwort: Das Ziel sollte es stets sein, die Gesamtrisikokosten (Total Costs of Risks) zu optimieren. Bei der Betrachtung dieser werden alle Faktoren berücksichtigt, wie z.B. die Kosten für Risikobewältigung durch Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen, die Kosten für den Risikotransfer und die Kosten für selbst getragene Schäden. Diese Faktoren werden gegenübergestellt, um den effizientesten Weg einer balancierten Risikofinanzierung zu berechnen. Es hängt also von all diesen Faktoren ab, welche Strategie am sinnvollsten ist.

Aus Sicht der Versicherung und der Nachhaltigkeit ist jeder Schaden, der nicht eintritt, positiv zu bewerten. Vor allem auch zur Vermeidung von in der Regel nicht versicherbaren Folgeschäden, wie Reputations- und Kundenverlust sind präventive Maßnahmen essenziell. Daher ist es wichtig, Maßnahmen zur Risikovermeidung und Risikoverminderung zu priorisieren.

Wenn ein Risiko zu adäquaten Risikoprämien auf dem Versicherungsmarkt transferiert werden kann, ist das natürlich auch eine begrüßenswerte Strategie im Rahmen der Risikobewältigung. Zusammengefasst lässt sich sagen, es ist also nicht nur sinnvoll, Risiken zu versichern, sondern auch ein umfassendes Risikomanagement zu betreiben, um Schäden zu verhindern, die Gesamtrisikokosten zu optimieren und eine nachhaltige Risikofinanzierung zu gewährleisten.

Antwort: Recyclingunternehmen sind Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und tragen wesentlich zur Kreislaufwirtschaft bei. Es zeichnet sich ein Trend ab, dass Versicherer das sogenannte „Green Underwriting“ fördern möchten, bei dem umweltfreundliche und nachhaltige Projekte und Branchen bevorzugt werden. Allerdings haben Recyclingunternehmen eine hohe Schadensanfälligkeit, was sich in den bisherigen Schadenerfahrungen widerspiegelt. Diese technischen Underwriting-Kriterien sind derzeit noch wichtiger als Nachhaltigkeitskriterien.

Die Kreislaufwirtschaft stellt natürlich nicht nur ein Risiko, sondern auch eine große Chance dar. Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Chancen und Innovationen oft nicht genutzt werden können, wenn traditionelle Versicherungsanbieter keine passenden Lösungen zur Verfügung stellen. Hier kommen Captives ins Spiel, die als Brücke für diese grünen Transformationsrisiken dienen können. Captives ermöglichen es Unternehmen, ihre eigenen Versicherungsprogramme zu erstellen und so spezifische Risiken besser abzudecken.

Antwort: Das hängt vom Zeitpunkt und spezifischen Risiko ab. Es gibt unterschiedliche Tendenzen in den verschiedenen Versicherungssparten.

Besonders bei Naturgefahrenrisiken ist zu beobachten, dass wir nicht zu den Preisniveaus von vor fünf Jahren zurückkehren werden. Im Gegenteil, es ist zu erwarten, dass die Preise weiter steigen werden. Diese Entwicklung ist auf die steigende Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen zurückzuführen, die zu höheren Schadenssummen führen. Rückversicherer müssen daher ihre Prämien anpassen, um die gestiegenen Risiken abzudecken. Dies führt dazu, dass der Rückversicherungsmarkt strikter agiert und höhere Anforderungen an die Erstversicherer stellt.

Allgemein lässt sich jedoch feststellen, dass die Kapitalausstattung des Rückversicherungsmarktes 2024 einen neuen Höchststand erreicht hat. Auch die Prognosen für 2025 sehen stabil aus. Dadurch können wir erwarten, dass in verschiedenen Sparten die Flexibilität wieder zunehmen wird.

Steuerliche und aufsichtsrechtliche Fragestellungen

Antwort: Prämienzahlungen an Captive-Versicherungen sind stets den Zahlungen an traditionelle Versicherungsunternehmen gleichgestellt. Mit wenigen Ausnahmen unterliegen Prämien grundsätzlich der Versicherungssteuer. Dies gilt auch für Prämien, die an Captive-Versicherungen gezahlt werden und zwar unabhängig davon, ob diese an eine Erstversicherungs-Captive oder über einen Fronting-Versicherer an eine Rückversicherungs-Captive fließen.

Ein wesentlicher Vorteil gegenüber der internen Selbstversicherung besteht darin, dass die vom Unternehmen gezahlten Prämien steuerlich, als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können.

Antwort: Ja, Captives sind in Österreich aufsichts- und steuerrechtlich analog Versicherungsunternehmen zu behandeln und unterliegen somit der Solvency II als übergeordneten europäischen Rechtsrahmen und dem Versicherungsaufsichtsgesetz auf nationaler Ebene. Es müssen also die Anforderungen der Solvency II an Finanzausstattung, Aufsichtsrecht, Berichte und Transparenz erfüllt werden.

Aktuell findet eine Überarbeitung der Solvency II Richtlinie statt, die insbesondere das Rahmenwerk für Proportionalität betrifft. Dieses zielt darauf ab, regulatorische Standards entsprechend der Größe und Komplexität von Versicherungsunternehmen anzuwenden. Es wird erwartet, dass die Proportionalität für „small and non-complex undertakings“ (SNCUs) verbessert wird. In die Kategorie der SNCUs könnten auch Captives bestimmter Größenordnungen fallen. Demnach wird erwartet, dass die Rahmenbedingungen für Captives in Europa verbessert werden.

In etablierten Captive Domizilen gibt es bereits Erleichterungen im Gründungsprozess, Aufsichtsrecht und Steuerrecht.

Anwendungsbereich

Antwort: Ursprünglich wurden Captives vor allem von großen multinationalen Unternehmen genutzt. Heute sind sie jedoch auch für mittelständische Unternehmen (KMUs) zugänglicher, insbesondere wenn diese über ein hohes Risikobewusstsein und die Kapazität verfügen, Risiken intern zu managen. Die Entscheidung, eine Captive zu gründen, hängt stark von der individuellen Risikosituation und den geschäftlichen Anforderungen des jeweiligen Unternehmens ab.

Antwort: Grundsätzlich können alle Versicherungssparten in eine Captive übertragen werden, einschließlich D&O-Versicherungen. Dies ist jedoch bisher nicht weit verbreitet und mit einigen Risiken verbunden.

Während Side B (Firmenenthaftung) und Side C Deckungen (Deckung der Gesellschaft selbst) weniger problematisch sind, gibt es vor allem zu Side A Deckungen, also der Deckung für natürlich versicherte Personen wie einzelne Vorstandsmitglieder und Führungskräfte, immer wieder Diskussionen. Neben teilweisen rechtlichen Hürden in einzelnen Ländern, gibt es auch praktische Themen, die gegen eine Eigentragung sprechen, da insbesondere in Kontinentaleuropa bei einem Innenanspruch ein Interessenkonflikt entsteht: Das Unternehmen geht gegen einen Manager vor und die Captive als Tochterunternehmen soll die Verteidigung übernehmen? Dennoch gibt es Entwicklungen in Captive Domizilen, die nach und nach die Möglichkeit schaffen, A Deckungen in Captives aufzunehmen.

Allerdings werden D&O-Versicherungen in der Regel gut durch den traditionellen Versicherungsmarkt abgedeckt. Dieser bietet oft umfassende und bewährte Lösungen für D&O-Risiken, sodass eine Captive in diesem Bereich möglicherweise weniger notwendig ist. Der Einschluss von D&O in eine Captive könnte sich vor allem für Unternehmen mit großen Deckungsstrecken lohnen.

Antwort: Ja, als Maklerunternehmen ist es möglich, eine Captive zu gründen, die speziell das Cyberrisiko der Kunden abdeckt.

Um dies zu erreichen, kann eine Protected Cell Company (PCC) in einem geeigneten Domizil gegründet werden. Dadurch wird die notwendige Infrastruktur für Klienten geschaffen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch eine Captive den aufsichtsrechtlichen Anforderungen unterliegt, wie sie für traditionelle Versicherungsunternehmen gelten. Dies umfasst die Einhaltung der Solvency II-Richtlinie, ausreichende Eigenmittel und die Aufsicht durch die zuständigen Behörden.

Antwort: Employee Benefits werden oft als eigene Captive Gesellschaft gegründet, um spezifische Risiken und Anforderungen besser abzudecken. Grundsätzlich gibt es keine besonderen Herausforderungen oder Anforderungen, die sich von anderen Captive-Gesellschaften unterscheiden.

Besonders in den USA sind Captives für Employee Benefits relevant, da viele Risiken nicht durch die Sozialversicherung abgedeckt werden. Aufgrund des hohen Prämienvolumens bieten sich hier viele Möglichkeiten zur Kostenreduktion und besseren Kontrolle über die Versicherungspläne an. Auch in Europa geht es darum, eine entsprechende Pooling-Lösung zu finden, um die Kosten der Employee Benefits zu optimieren und eine bessere Risikoverteilung zu erreichen. Zu berücksichtigen sind bei solchen Versicherungslösungen immer allfällige regionale gesetzliche Anforderungen, um beispielsweise steuerliche Belastungen für die versicherten Arbeitnehmer:innen bestmöglich zu vermeiden oder zu vermindern.

Antwort: Es gibt in etwa ein Dutzend österreichische Unternehmen, die eine Captive betreiben. Zu beachten ist, dass diese Unternehmen zwar ihre Konzernzentralen in Österreich haben, ihre Captive-Vehikel jedoch aufgrund attraktiverer Bedingungen in ausländischen Domizilen angesiedelt sind.

Antwort: Die Ansiedlung von mehr Captives in Österreich würde dem Staat zahlreiche Vorteile bringen. Erstens würde dies die Innovationskraft der heimischen Wirtschaft fördern, da Unternehmen ihre Risiken leichter selbst tragen und maßgeschneiderte Lösungen entwickeln könnten. Zweitens würde das Risikobewusstsein gestärkt, was zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beiträgt. Drittens würde die wirtschaftliche Stabilität erhöht, da Österreich als bedeutender Finanzplatz in Zentral- und Osteuropa gestärkt würde. Viertens würden Versicherer entlastet, da das Risiko für Schäden reduziert wird. Schließlich würde die optimierte Finanzierung durch die Sammlung und Analyse von risikobezogenen Daten ermöglicht. Insgesamt würde die Etablierung von Captives sowohl den Unternehmen als auch der gesamten Wirtschaft zugutekommen.

Wir stellen fest, dass das Interesse an Captives als effektives Risikomanagement Instrument groß ist. Aufgrund der ungünstigeren Rahmenbedingen hier, entscheiden sich heute Unternehmen ihre Captives im Ausland zu gründen. Das stärkt die Finanzplätze der Captive-Domizile – und nicht Österreich.

Operative Fragestellungen

Antwort: Captives sind auf langfristige Risikomanagementziele abgestimmte Instrumente. Daher ist es vor der Entscheidung zur Gründung einer Captive wichtig, eine sogenannte Machbarkeitsstudie durchzuführen. Im Rahmen dieser Studie wird unter anderem auch geprüft, ob und welche Rolle eine Captive bei bestehenden Lösungen einnehmen kann, zum Beispiel bei der Programmstrukturierung, bei Rückversicherungsplatzierungen etc. Das heißt, dieser Punkt ist einzelfallbezogen zu betrachten und mit dem Versicherer zu verhandeln. Schließlich ist die Implementierung einer Captive auch ein starkes Signal an den Versicherer, dass das Unternehmen ein hohes Risikobewusstsein hat – eine Win-Win Situation sozusagen.

Als Richtwert für die Dauer von der Machbarkeitsstudie bis zur Implementierung kann man 6-12 Monate in etablierten Domizilen annehmen. In Österreich oder Deutschland ist von einer mehrjährigen Vorlaufzeit auszugehen.

Antwort: Hier gibt es viel Flexibilität. Der Erstversicherer muss nicht zwingend einen Prozentsatz am Risiko selbst tragen, da auch reines Fronting möglich ist. Eine Captive kann sich proportional im Layer als Rückversicherer beteiligen oder auf Quarter Share Basis nach einem Grundselbstbehalt als Rückversicherer eingesetzt werden.

Im Captive Design Prozess, insbesondere in der Gründungsphase, ist es wichtig, genau festzulegen, wo der „Sweet Spot“ der Captive liegt. Dies bedeutet, dass man sorgfältig abwägen muss, welche Risiken und in welchem Umfang die Captive übernehmen soll, um eine optimale Risikoverteilung und Kosteneffizienz zu erreichen.

Antwort: Ja, es ist möglich, aus einer Captive Kapital für Risikominimierungsmaßnahmen zu entnehmen, wobei dies je nach Domizil unterschiedlich gehandhabt wird. Es ist wichtig zu vermeiden, dass Liquidität in der Captive geparkt wird und somit nicht mehr verwendet werden kann. Daher kann eine Captive grundsätzlich auch ein Darlehen an das Mutterunternehmen geben. Im Rahmen des gesamten Treasury-Managements kann der Cashflow der Captive zu einem gewissen Teil in das Gesamt-Cashflow-Management des Unternehmens eingebracht werden.

Es gibt bereits Fälle, in denen die Captive die Kosten der Risikominderung mitgetragen hat, um die Risikoverbesserung zu unterstützen. Dies zeigt, dass Captives flexibel eingesetzt werden können, um sowohl Versicherungsschutz zu bieten als auch aktiv zur Risikominimierung beizutragen. Zu berücksichtigen sind aber die Solvabilitätskapitalanforderungen, um jederzeit der versicherungsvertraglichen Leistungspflicht nachkommen zu können.

Antwort: Ja, für Verträge, die eine Captive zeichnet, gelten die gleichen Gesetze und Normen wie für traditionelle Versicherer. D. h. auch hier ist bei der Gestaltung der Deckung zu prüfen, ob diese gegen Regulatorien verstoßen – z. B. bei Verstoß gegen Verbot und Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften (§ 879 ABGB). Das kann bei Geldbußen wegen eines Vorsatzdeliktes durchaus der Fall sein. Auch Sanktions-Themen unterliegen den geografisch gültigen Regulatorien wie im traditionellen Versicherungsgeschäft.

Zudem müssen Captives den gleichen versicherungsmathematischen Vorgaben wie traditionelle Versicherer folgen. Wenn ein Risiko nicht versicherbar ist, weil nicht genügend Daten zur Modellierung vorliegen, wird es auch in einer Captive nicht so einfach versicherbar sein.

Der strategische Mehrwert einer Captive liegt darin, dass sie für Risiken eingesetzt werden kann, für die es auf dem konventionellen Versicherungsmarkt keine Lösungen gibt, die aber dennoch versicherungstechnisch recht gut kalkuliert werden können. Ein Beispiel hierfür sind non-physical damage business interruption (Betriebsunterbrechung ohne Sachschaden) oder Absatzrückgänge, für die es am Markt keine Versicherungslösungen gibt, die aber aufgrund vorhandener Daten modelliert werden können. Dies ist ein wesentlicher strategischer Punkt.

Antwort: Es ist entscheidend, die Deckung so zu gestalten, dass Kulanzzahlungen vermieden werden. Die Deckung sollte dort erfolgen, wo sie notwendig ist. Ansonsten sollten Risiken bewusst selbst getragen werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass bei fast allen Versicherungsprogrammen, die über Captives gezeichnet werden, keine vollständige Eigentragung über die Captive erfolgt, sondern Rückversicherungsinstrumente in verschiedensten Formen berücksichtigt werden. Zudem ist festzulegen, wer die Schäden freigibt – ob Erstversicherer als Frontingversicherer oder Captive Manager. Dies variiert von Fall zu Fall.

Antwort: Fakt ist, dass gesetzliche Bestimmungen zum Bereicherungsverbot auf Schadenleistungen über Captives genauso zur Anwendung kommen, wie bei traditionellen Versicherungen. In Europa ist das Bereicherungsverbot im Versicherungsvertrag ein grundlegendes Prinzip des Versicherungsrechts, das sicherstellen soll, dass Versicherungsnehmer durch Versicherungsleistungen nicht übermäßig bereichert werden sollen.

Zu den anderen Rechtsräumen lässt sich die Frage nicht pauschal beantworten, sondern ist vielmehr detailliert zu prüfen. So gibt es in den USA beispielsweise nach meinem Wissen vergleichbare Bestimmungen über verschiedene regulatorische Mechanismen, wie dem Indemnity Principle, das besagt, dass der Versicherungsnehmer nur für den tatsächlich entstandenen Schaden entschädigt werden soll und nicht übermäßig bereichert werden dürfte. Außerdem wird speziell in den USA das Versicherungsrecht hauptsächlich auf Ebene der Bundesstaaten geregelt. Sie sehen, das ist auf globaler Ebene betrachtet ein komplexes Thema, das im Einzelfall durch eine Rechtsanwaltskanzlei zu verifizieren ist.

Antwort: Captives sind üblicherweise für die Absicherung von Risiken der eigenen Konzernfamilie angedacht. Risikostreuung erfolgt in der Regel über die Anzahl der Standorte und die Kombination verschiedener Versicherungssparten.

Captives, die mehrere Einzelunternehmen einschließen, können ebenso der Risikostreuung dienen. Bei solchen Pooling Lösungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Schäden anderer Pool Mitglieder mitgetragen werden müssen, ohne Kontrolle über deren Risikoportfolio und -management zu haben.

Hier gibt es das Webinar als E-Learning: https://www.meine-weiterbildung.at/kurs/fb944bbf

Wiener Neustadt, 24.04.2025

Mit der Entscheidung 7 Ob 136/22h vom 25.01.2023 hat der Oberste Gerichtshof (OGH) klargestellt, dass ein Wiederholungstäterausschluss in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einer Vertrauensschadenversicherung wirksam und rechtskräftig sein kann, selbst wenn die AGB nicht vom Versicherer selbst stammen. Dies wirft wichtige Fragen zur Auslegung und rechtlichen Einordnung solcher Vertragsklauseln auf.

Inhalt der Klage

Der Kläger, der Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Österreich, hatte zugunsten seiner Mitglieder einen Vertrag über eine Vertrauensschadenversicherung mit den beiden Beklagten abgeschlossen. Ziel war es, Deckungslücken der gesetzlichen Pflichthaftpflichtversicherung in Fällen vorsätzlicher Schädigung zu schließen.

Ein Mitglied des Klägers, die Hausverwaltung einer GmbH, verursachte durch ihren Geschäftsführer einen Vermögensschaden, indem dieser anvertraute Verwaltungsguthaben missbrauchte. Der Kläger forderte von den Versicherern die Zahlung von 182 429 Euro, stieß jedoch auf Ablehnung. Die Beklagten beriefen sich auf den vertraglich vereinbarten Wiederholungstäterausschluss.

Vorbringen der Parteien

Kläger: Der Kläger argumentierte, dass der Schaden unter den Versicherungsschutz falle, da weder er noch die Hausverwaltung von den „Malversationen“ des Geschäftsführers gewusst hätten. Zudem sei der Wiederholungstäterausschluss unwirksam, da er gegen § 34a Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) verstoße. Der Kläger sah den Vertrag nicht nur zugunsten seiner Mitglieder, sondern auch zugunsten der geschädigten Eigentümergemeinschaften abgeschlossen.

Beklagte: Die Beklagten wandten ein, dass der Ausschluss ausdrücklich im Vertrag geregelt und wirksam sei. Sie wiesen darauf hin, dass der Kläger die Versicherung einzig im Interesse seiner Mitglieder abgeschlossen habe und diese somit die einzigen versicherten Parteien seien. Außerdem sei der Wiederholungstäterausschluss durch die Maklerin des Klägers in die Vertragsgestaltung eingebracht worden, weshalb Unklarheiten zu Lasten des Klägers gingen.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Erstgericht wies die Klage des Klägers ab. Es entschied, dass der Wiederholungstäterausschluss gemäß § 914 Allgemeine Gesetzbuch (ABGB) nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen sei. Da der Versicherungsvertrag eine Versicherung zugunsten der Mitglieder des Klägers darstellte, seien weder eigene Interessen des Klägers noch jene der geschädigten Dritten mitversichert. Zudem müsse das Wissen des Geschäftsführers der Hausverwaltung dieser selbst zugerechnet werden, weshalb der Risikoausschluss greife.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und entschied zugunsten des Klägers. Es argumentierte, dass der Wiederholungstäterausschluss nicht greife, da das Wissen des Geschäftsführers aufgrund einer Interessenkollision der Hausverwaltung nicht zugerechnet werden könne. Außerdem sei der Vertrag so auszulegen, dass die geschädigten Eigentümergemeinschaften als versicherte Personen anzusehen seien.

Entscheidung des OGH

Der OGH entschied zugunsten der Beklagten und stellte das Urteil des Erstgerichts, das die Klage abgewiesen hatte, wieder her. Die wesentlichen Begründungen lauteten:

Herkunft der AGB und individuelle Ausgestaltung 

Die AGB wurden von der Versicherungsmaklerin des Klägers erstellt und in die Verhandlungen eingebracht. Da den Beklagten Änderungsmöglichkeiten eingeräumt wurden, handelte es sich um einen individuell ausgehandelten Vertrag. Somit fanden die strengen Klauselkontrollmechanismen des § 915 ABGB keine Anwendung.

Wirksamkeit des Wiederholungstäterausschlusses 

Der Wiederholungstäterausschluss wurde als Risikoausschluss gewertet, da er den Versicherungsschutz von vornherein begrenzte. Diese Begrenzung sei weder von den Handlungen des Versicherungsnehmers abhängig noch unklar formuliert. Der OGH hob hervor, dass solche Risikoausschlüsse den Schutz des Versicherers legitim und rechtlich wirksam eingrenzen.

Zurechnung von Wissen 

Das Wissen des Geschäftsführers der geschädigten Hausverwaltung über seine eigenen Handlungen wurde dieser zugerechnet. Diese Zurechnung führte dazu, dass die Versicherer leistungsfrei waren.

Zusammenfassung und Praxistipp

Die Entscheidung des OGH verdeutlicht, dass AGB, die nicht vom Versicherer, sondern vom Versicherungsnehmer oder dessen Makler eingebracht werden, rechtlich als individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen betrachtet werden können. In solchen Fällen greift die Klauselkontrolle gemäß § 915 ABGB nicht. Diese Vorgehensweise birgt jedoch Risiken für den Versicherungsnehmer, da Unklarheiten zulasten des Verwenders gehen.

Praxistipp: Versicherungsnehmer und Versicherungsvermittler sollten sicherstellen, dass von ihnen eingebrachte AGB von einem spezialisierten Rechtsanwalt geprüft werden. Dies gilt besonders bei komplexen Verträgen wie Versicherungsverträgen. Eine fundierte rechtliche Prüfung kann potenzielle Streitigkeiten vermeiden und sicherstellen, dass die Vertragsbedingungen klar und wirksam sind.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier: OGH 7 Ob 136/22h.

Wiener Neustadt, 07.01.2025

Bildnachweis: envato

Die Daten der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geben Einblicke in die Entwicklung von Betrugsfällen innerhalb der Versicherungsbranche. Betrug ist jedoch ein Phänomen, das in nahezu allen Branchen vorkommt. Der Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung kann dabei helfen, finanzielle Schäden für betroffene Unternehmen erheblich zu reduzieren.

Unregelmäßigkeiten nach Personengruppen

Die Daten „Unregelmäßigkeiten im Sinne der Sammelverfügung vom 10. Dezember 2015“ zeigt einen Gesamtschaden von EUR 22 644 334 der sich auf folgende Personengruppen aufteilt:

  • Angestellter Außendienst: 14 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 6 827.
  • Gebundene Vermittler: 165 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 4 464 065.
  • Innendienst: 24 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 8 349 672.
  • Makler: 16 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 599 046.
  • Mehrfachvertreter: 1 Fall, Betrag nicht angegeben.
  • Produktakzessorische Versicherungsvermittler; 1 Fall, veruntreuter Betrag EUR 50.
  • Sonstige Vermittler: 9 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 9 224 674.

Die höchsten Schadenssummen werden dem Innendienst zugeschrieben, während die gebundenen Vermittler die meisten gemeldeten Fälle aufweisen.

Betrugsfälle ab EUR 50.000

Dieser Teil fokussiert sich auf besonders schwere Fälle mit Schadenssummen ab EUR 50 000 und zeigt einen Gesamtschaden von EUR 20 837 022 mit folgenden Personengruppen:

  • Gebundene Vermittler: 19 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 3 052 537.
  • Innendienst: 3 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 8 087 052.
  • Makler: 5 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 553 340.
  • Sonstige Vermittler: 1 Fall, veruntreuter Betrag EUR 9 144 093.

Bemerkenswert ist, dass ein sonstiger Vermittler mit nur einem Fall die höchste Schadenssummen verursacht hat, gefolgt vom Innendienst mit 3 Fällen und der zweithöchsten Schadenssumme.

Vermittlerstatus und Versicherungszweige

Die Daten zur Verteilung der Fälle nach Vermittlerstatus und Versicherungszweig zeigt:

  • Gebundene Vermittler, 50 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 4 028 168.
    • Lebensversicherung: 23 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 1 292 767.
    • Krankenversicherung: 7 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 444 030.
    • Schaden-/Unfallversicherung: 20 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 2 291 371.
  • Innendienst, 10 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 8 331 628.
    • Krankenversicherung: 2 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 70 843.
    • Schaden-/Unfallversicherung: 8 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 8 260 785.
  • Makler, 8 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 590 990.
    • Lebensversicherung: 7 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 528 021.
    • Schaden-/Unfallversicherung: 1 Fall, veruntreuter Betrag EUR 62 969.
  • Sonstige Vermittler, 4 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 9 221 275.
    • Krankenversicherung: 2 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 9 160 593.
    • Schaden-/Unfallversicherung: 2 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 60 682.

Die Schaden-/Unfallversicherung verzeichnet die höchsten Schadenssummen, besonders bei sonstigen Vermittlern und Innendienstmitarbeitern.

Tatmodalitäten und Versicherungszweige

Die Daten zu den Tatmodalitäten geben Aufschluss über die betrügerischen Methoden. Der Gesamtschaden beträgt EUR 22.172.061 und resultiert aus 72 Fällen. Besonders interessant sind dabei folgende Bereiche:

  • Fingierte Verträge:
    • 29 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 10 472 594.
    • Schaden-/Unfallversicherung: 9 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 8 896 254.
    • Lebensversicherung: 17 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 1 425 668.
  • Kundengelder für Nicht-Versicherungsgeschäfte:
    • 2 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 250 966.
  • Schadenmanipulation:
    • 11 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 315 048.
  • Sonstiges:
    • 23 Fälle, veruntreuter Betrag EUR 10 690 903.

Besonders fingierte Verträge und Sonstiges fallen durch höchste Schadenssummen auf, wobei der Schwerpunkt auf der Schaden-/Unfallversicherung liegt, diese machen 95 % des Gesamtschaden aus.

Maßnahmen gegen Betrug und Abfederung des finanziellen Schadens

Die BaFin-Daten zeigen, dass Betrugsfälle in der Versicherungsbranche signifikante finanzielle Auswirkungen haben. Der Fokus auf Innendienstmitarbeiter und fingierte Verträge zeigt klare Schwerpunkte, die gezielt adressiert werden sollten. Eine verstärkte Kontrolle der Schaden-/Unfallversicherung und ein verbessertes Monitoring von Vermittlern könnten zur Prävention solcher Fälle beitragen.

Unternehmen können zudem durch den Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung finanzielle Schäden abfedern. Diese Versicherung deckt in der Regel Schäden ab, die durch die vorsätzliche oder betrügerische Handlung von Mitarbeitern, Vermittlern oder externen Personen entstehen. Dazu gehören etwa Unterschlagung, Diebstahl, Betrug oder Datenmanipulation.

Die BaFin-Daten zeigen, dass Betrugsfälle in der Versicherungsbranche signifikante finanzielle Auswirkungen haben.

Informationen zur Vertrauensschadenversicherung finden Sie hier: https://www.hoeher.info/hoeher-versicherungsprodukte/

Wr. Neustadt, 07.01.2025

Quellenhinweis: https://www.bafin.de/DE/PublikationenDaten/Statistiken/Erstversicherung/erstversicherung_artikel.html

Bildnachweis: envato

Am 13.06.2019 fällte das Landesgericht Klagenfurt ein Urteil, das die Haftung von Versicherungsmaklern bei der Vermittlung von Krankenversicherungsverträgen beleuchtet. Der Fall betraf die Frage, ob ein Versicherungsmakler für unvollständige Informationen über den Gesundheitszustand eines Versicherungsnehmers und daraus resultierende Deckungsausschlüsse haftet. Die Klage wurde abgewiesen, da keine Pflichtverletzung des Maklers festgestellt werden konnte.

Inhalt der Klage

Der Kläger, ein Arbeiter, forderte von der beklagten Versicherungsmaklergesellschaft Schadensersatz in Höhe von 3 963,47 Euro sowie die Feststellung einer Haftung für zukünftige Kosten, die durch Deckungsausschlüsse in seinem Krankenversicherungsvertrag entstehen. Hintergrund war die Ablehnung einer Kostenübernahme durch die Wiener Städtische Versicherung AG aufgrund nicht offengelegter Vorerkrankungen der Wirbelsäule.

Vorbringen der Parteien

Klageseite: Der Kläger argumentierte, der Versicherungsmakler habe es absichtlich unterlassen, relevante medizinische Unterlagen an den Versicherer weiterzuleiten, um eine höhere Prämie zu vermeiden. Zudem sei er falsch über die Deckung informiert worden.

Beklagtenseite: Die beklagte Partei wies darauf hin, dass der Makler eigenständig tätig war und keine Pflichtverletzung vorlag. Der Kläger habe keine relevanten Gesundheitsinformationen angegeben, weshalb keine Veranlassung bestand, diese zu überprüfen.

Vorbringen des Nebenintervenientin: Der Nebenintervenient, ein selbstständiger Versicherungsmakler und Sub-Makler der beklagten Versicherungsmaklerin, betonte, dass er aufgrund eines Kooperationsvertrags für diese tätig wurde. Er habe bei der Antragstellung alle Angaben des Klägers korrekt und nach bestem Wissen weitergeleitet. Es habe keinen Anlass gegeben, an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der Aussagen des Klägers zu zweifeln. Er bestritt entschieden, jemals eine verbindliche Zusage hinsichtlich der Kostenübernahme gemacht zu haben. Zudem stellte er klar, dass er nicht als Erfüllungsgehilfe der beklagten Partei tätig war, sondern im Rahmen des Kooperationsvertrages handelte.

Entscheidung des Gerichtes

Das Gericht betonte, dass die Haftung nach § 1313a Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) maßgeblich davon abhängt, ob ein Gehilfe mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten tätig wird. Es stellte fest, dass der Nebenintervenient als ‚Sub-Makler‘ im Rahmen eines Kooperationsvertrages für die beklagte Versicherungsmaklerin tätig war und damit in den Risikobereich der beklagten Partei fiel.

Nach den Grundsätzen der Erfüllungsgehilfenhaftung haftet ein Geschäftsherr grundsätzlich für das Verhalten eines Gehilfen, auch wenn dieser selbstständig tätig ist, solange der Gehilfe in den Pflichtenkreis des Geschäftsherrn eingebunden ist. Das Gericht führte aus, dass diese Haftung jedoch voraussetzt, dass der Gehilfe eine Pflichtverletzung begeht. Im vorliegenden Fall konnte kein Verschulden des Nebenintervenienten festgestellt werden. Die Beweisaufnahme zeigte, dass der Nebenintervenient die Angaben des Klägers korrekt weitergeleitet hatte und keine rechtlichen Verpflichtungen bestanden, darüber hinausgehende Nachforschungen anzustellen. Ebenso war er nicht befugt, verbindliche Deckungszusagen zu erteilen.

Das Gericht hob hervor, dass die beklagte Partei nicht haftbar gemacht werden konnte, da die Anzeigepflicht gemäß § 16 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) eindeutig beim Versicherungsnehmer liegt. Diese Anzeigepflicht verlangt, dass alle relevanten Umstände, die für die Übernahme der Versicherungsdeckung von Bedeutung sind, vollständig und wahrheitsgemäß angegeben werden. Der Kläger hatte diese Pflicht verletzt, indem er wesentliche Vorerkrankungen nicht angegeben hatte. Die Ablehnung der Kostenübernahme durch den Versicherer war daher ausschließlich auf diese Pflichtverletzung zurückzuführen.

Beweiswürdigung des Gerichtes

Das Gericht legte in seiner Beweiswürdigung dar, dass der Kläger weder glaubhaft nachweisen konnte, relevante medizinische Unterlagen bereits vor Vertragsabschluss übergeben zu haben, noch dass der Makler diese absichtlich zurückgehalten hätte. Der Makler wirkte glaubwürdig und hatte nachweislich keinen Anlass, die Angaben des Klägers anzuzweifeln.

Auch die Behauptung, der Makler habe eine Kostenübernahme für die Sonderklasse zugesagt, konnte nicht bestätigt werden. Vielmehr legte das Gericht dar, dass der Kläger in einer stressbedingten Situation die Aussagen des Maklers möglicherweise missverstanden haben könnte.

Die Beweisaufnahme zeigte, dass der Kläger selbst die Anzeigepflichten nicht erfüllt hatte und dass der Makler keine Verletzung seiner Beratungspflichten begangen hatte.

Zusammenfassung und Praxistipp

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Anzeigepflicht durch Versicherungsnehmer und die eingeschränkte Nachforschungspflicht von Versicherungsmaklern (siehe dazu auch den Blog-Beitrag Besteht Nachforschungspflicht für Versicherungsvermittler?).

Für Versicherungsnehmer ist es entscheidend, alle Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß zu beantworten, um spätere Deckungsausschlüsse oder Vertragsänderungen zu vermeiden. Makler sollten klar dokumentieren, welche Informationen sie erhalten und weiterleiten, um Missverständnisse zu vermeiden.

Das Urteil wurde im Rechtsinformationssystem (RIS) des Bundes nicht veröffentlicht.

Wiener Neustadt, 18.03.2025

Bildnachweis: envato

Am 24.04.2020 entschied das Handelsgericht Wien über eine Klage im Zusammenhang mit einer Organhaftpflichtversicherung. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der Versicherer zur Deckung bestimmter Verteidigungskosten und Haftpflichtansprüche verpflichtet war. Die Entscheidung gewährt wertvolle Einblicke in die rechtliche Einordnung von Vertragsklauseln und Obliegenheiten, insbesondere im Hinblick auf Risikoausschlüsse und die Anzeigepflichten der Versicherungsnehmer.

Inhalt der Klage

Die klagende Partei, ein Geschäftsführer einer GmbH, forderte eine Zahlung von insgesamt 398 962,54 Euro sowie die Feststellung der Deckung aus einer Organhaftpflichtversicherung. Der Streit entstand aus zwei Ermittlungsverfahren, die sich auf vermeintliche Pflichtverletzungen in der Geschäftsführung bezogen. Der Kläger machte geltend, dass der Versicherungsvertrag umfassenden Deckungsschutz für solche Fälle bieten sollte.

Vorbringen der Parteien

Die klagende Partei argumentierte, dass die Versicherung für die Verteidigungskosten in Strafverfahren Deckung gewähren müsse, da diese Verfahren unter die Klauseln des Versicherungsvertrages fielen. Zudem wurde betont, dass der Versicherer Kenntnis aller relevanten Umstände gehabt habe und die Ablehnung der Deckung treuwidrig sei. Die Kombination aus „Claims-made“-Deckung und Ausschluss der Rückwärtsdeckung sei unüblich und benachteilige den Versicherungsnehmer.

Auf der anderen Seite bestritt die beklagte Partei, die Versicherung die Deckungspflicht und verwies auf verschiedene Risikoausschlüsse im Vertrag, darunter Vorsatzausschlüsse und Verpflichtungen zur Anzeigepflicht. Sie machte geltend, dass der Kläger wesentliche gefahrenerhöhende Umstände nicht offengelegt habe.

Die Nebenintervenientin, die als Versicherungsagentin der Beklagten auftrat, argumentierte, dass sie keine eigenständige Verantwortung trage, da sie im Auftrag der Beklagten handelte. Sie bestritt jegliche Aufklärungspflichten gegenüber der klagenden Partei und verwies darauf, dass der Kläger als Versicherungsmakler selbst über die relevanten Versicherungsbedingungen informiert sein müsse. Daraus folge, dass auch keine erweiterten Aufklärungspflichten bestanden.

Weiterhin wurde festgestellt, dass der Kläger trotz der Kenntnis aus einem großen Anlegerprozess gegenüber der Nebenintervenientin falsche Angaben gemacht hatte, etwa durch das Verschweigen von Kundenbeschwerden und Vorwürfen des pflichtwidrigen Organhandelns. Diese Versäumnisse sowie der Vorsatz, Beweislagen zu manipulieren, wurden als gravierende Obliegenheitsverletzungen gewertet. Die Nebenintervenientin argumentierte, dass bei wahrheitsgemäßen Angaben keine D&O-Versicherung vermittelt worden wäre. Sie sah dies als entscheidenden Grund für die Ablehnung der Deckung durch die Beklagte.

Entscheidung des Gerichtes

Das Handelsgericht Wien wies die Klage ab. Es wurde festgestellt, dass die Klauseln zur Vorsatzausschlussregelung wirksam und eindeutig formuliert waren. Dabei wurde nach § 914 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) der erklärte Wille der Parteien zur Vertragsauslegung herangezogen, der in diesem Fall die Gültigkeit der Ausschlussklauseln untermauerte.

Zusätzlich stellte das Gericht fest, dass der Kläger vorvertraglich nicht ausreichend über gefahrenerhöhende Umstände informiert hatte. Diese Verletzung der Anzeigepflichten führte zur Leistungsfreiheit der Versicherung. Die Kombination aus „Claims-made“-Deckung und dem Ausschluss der Rückwärtsdeckung wurde als üblich und nicht überraschend eingestuft.

Hinsichtlich der Rolle der Nebenintervenientin kam das Gericht zu dem Schluss, dass diese als Agentin der Beklagten keine eigenständigen Aufklärungspflichten gegenüber dem Kläger hatte. Ihre Verantwortung beschränkte sich auf die Vermittlung des Vertrages, und unklare oder fehlerhafte Angaben des Klägers wurden ihr nicht zugerechnet.

Beweiswürdigung des Gerichts

Das Gericht hob hervor, dass es keine hinreichenden Beweise dafür gab, dass der Kläger die Nebenintervenientin oder die Beklagte über den Anlegerprozess informierte. Besonders die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Klägers wurde in Frage gestellt, da diese widersprüchlich und teils unplausibel erschienen. Ein Beispiel dafür war die Diskrepanz zwischen seiner Behauptung, die Versicherungsnehmerin habe die Ausstellung der Deckungsbestätigung erst im Januar 2013 erhalten, und der tatsächlichen Ausstellung im Juli 2012. Darüber hinaus wurde betont, dass die Nebenintervenientin keine Anhaltspunkte hatte, die sie zu einer genaueren Prüfung hätten veranlassen können, da weder E-Mail-Korrespondenzen noch andere schriftliche Belege zur behaupteten Information über den Eurofinanz-Prozess vorlagen.

Das Gericht betrachtete dies als Beleg für die Unplausibilität der Darstellung des Klägers. Insgesamt bewertete es die Aussage des Geschäftsführers der Nebenintervenientin als glaubwürdiger, insbesondere in Bezug auf die Negativfeststellung zur Versicherbarkeit bei einer rechtzeitigen Meldung des Anlegerverfahrens. Diese Aussage wurde durch die fehlende Dokumentation des Klägers untermauert, die es nahelegte, dass keine ausreichenden Informationen an die Versicherer weitergegeben worden waren. Diese Feststellung trug wesentlich zur Leistungsfreiheit der Beklagten bei.

Zusammenfassung und Praxistipp

Dieses Urteil verdeutlicht die Bedeutung klar formulierter Vertragsklauseln und die Einhaltung von Anzeigepflichten in Versicherungsverträgen. Im Zweifelsfall ist es ratsam, rechtliche Beratung einzuholen, um mögliche Deckungslücken zu vermeiden. Ein verständliches Vertragsmanagement und transparente Kommunikation mit dem Versicherer sind essenziell, um den Versicherungsschutz zu sichern.

Tipps für Versichungsnehmer

Für Versicherungsnehmer, insbesondere in leitenden Positionen, empfiehlt es sich, vor Vertragsabschluss sämtliche gefahrenerhöhende Umstände offen zu legen. Die Vertragsbedingungen sollten im Hinblick auf Risikoausschlüsse und Obliegenheiten sorgfältig geprüft werden.

Tipps für Versicherungsvermittler

Für Versicherungsvermittler ergeben sich ebenfalls klare Lehren aus diesem Urteil. Es ist dringend davon abzuraten, Fragebögen im Namen des Versicherungsnehmers auszufüllen. Der Versicherungsnehmer sollte diese stets selbst und vollständig ausfüllen.

Vermittler sollten es zudem vermeiden, vermeintliche Tipps oder Formulierungshilfen anzubieten, die missverständlich sein könnten. Es ist ratsam, die vom Versicherungsnehmer ausgefüllten Unterlagen unverändert und eins zu eins an den Versicherer weiterzuleiten. Falls der Versicherer Rückfragen hat, sollten diese inhaltstreu und ohne eigenmächtige Ergänzungen an den Versicherungsnehmer weitergeleitet werden.

Ebenso sollten die Antworten des Versicherungsnehmers genau in dieser Form dem Versicherer übermittelt werden. Jegliche eigenständige Ergänzung oder Änderung der Unterlagen durch den Vermittler birgt erhebliche Risiken und sollte unterlassen werden.

Das Urteil wurde im Rechtsinformationssystem (RIS) des Bundes nicht veröffentlicht.

Wiener Neustadt, 07.01.2024

Bildnachweis: envato

Die Welt der Versicherungen ist komplex und oft unübersichtlich. Gerade deshalb versuchen viele Verbraucher, vermeintlich günstige Angebote über alternative Kanäle zu finden. Doch Vorsicht: Hinter den „Ghost Brokern“ verstecken sich Betrüger, die ahnungslose Kunden mit verlockend billigen Versicherungsangeboten ködern – mit verheerenden finanziellen Konsequenzen, wie der Financial Ombudsmann Service berichtet.

Was sind Ghost Broker?

Ghost Broker agieren als illegale Vermittler für Versicherungen, insbesondere im Bereich der Kfz- und Hausratversicherungen. Sie bieten ihre „Dienste“ über soziale Netzwerke, Messaging-Dienste oder Kleinanzeigen an und locken mit besonders günstigen Preisen. Das Problem: Die angebotenen Policen sind entweder gefälscht, manipuliert oder werden kurz nach Abschluss storniert. Die betroffenen Verbraucher bleiben letztlich unversichert.

Die häufigsten Methoden dieser Betrüger sind:

  • Gefälschte Policen: Hier existiert gar keine echte Versicherung. Die Opfer erhalten zwar Dokumente, die wie echte Versicherungszertifikate aussehen, jedoch keinerlei rechtlichen Schutz bieten.
  • Manipulierte Policen: Echte Versicherungen werden abgeschlossen, aber mit falschen Informationen, um die Prämie zu senken. Im Schadenfall werden solche Policen jedoch annulliert.
  • Stornierte Policen: Eine echte Versicherung wird zwar eingerichtet, aber nach kurzer Zeit storniert. Die Betrüger behalten die Rückzahlung, und der Kunde bleibt ohne Schutz.

    Die Konsequenzen für Opfer

    Viele Betroffene merken erst im Schadenfall, dass sie Opfer eines Ghost Brokers geworden sind. Dies führt zu erheblichen Problemen, darunter:

    • Hohe finanzielle Verluste durch nicht gedeckte Schäden.
    • Strafen für das Fahren ohne Versicherung.
    • Betrugsmarkierungen in Versicherungsdatenbanken, die zukünftige Policen teurer oder unmöglich machen.

    Betrug und steigende Zahlen

    Laut dem Financial Ombudsman Service (FOS) erreichte die Zahl der Beschwerden über Betrug und Betrugsfälle im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2024/25 mit 8.734 Fällen einen neuen Höchststand. Dies stellt einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr dar, in dem 6.094 Fälle gemeldet wurden. Besonders besorgniserregend ist, dass über die Hälfte dieser Fälle sogenannte „Authorised Push Payment“ (APP)-Betrügereien betrafen, bei denen Verbraucher dazu verleitet werden, Geld direkt an Betrüger zu überweisen. Diese alarmierenden Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, aufmerksam zu bleiben und sich gegen mögliche Betrugsversuche zu schützen.

    Wie Sie sich schützen können

    • Überprüfen Sie den Versicherer und den Versicherungsmakler: Legitime Versicherer finden Sie in der Unternehmensdatenbank der FMA und legitime Makler im Gewerbeinformationssystem Austria – GISA (www.gisa.gv.at).
    • Seien Sie misstrauisch bei extrem niedrigen Preisen: Wenn ein Angebot zu gut erscheint, um wahr zu sein, ist es das wahrscheinlich auch.
    • Achten Sie auf professionelle Kommunikation: Seriöse Versicherungsmakler nutzen keine Social-Media-Nachrichten oder anonyme Plattformen als Hauptkanal.
    • Vermeiden Sie Barzahlungen: Seriöse Versicherer verlangen keine Barzahlungen oder unnachvollziehbare Transaktionswege.

    Vorsicht ist besser als Nachsicht!

    Der Wunsch nach Einsparungen bei Versicherungsprämien ist verständlich. Doch um langfristige Schäden zu vermeiden, ist Vorsicht geboten. Prüfen Sie Angebote gründlich, nutzen Sie vertrauenswürdige Quellen und zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen, wenn Sie glauben, Opfer eines Betrugs geworden zu sein.

    Dazu gibt es in Österreich folgende Beschwerdestellen:

    WICHTIG: Vergessen Sie nicht, dass Sie im Anlassfall eines Betruges unverzüglich rechtlichen Beistand bei einem Rechtsanwalt einholen sollten. Dieser wird Sie über die Rechtslage und Ihre Möglichkeiten aufklären und gegebenenfalls auch eine Anzeige bei der zuständigen Stelle einbringen.

    Wr. Neustadt, 06.01.2025

    Dieser Blogbeitrag basiert auf Berichte des Financial Ombudsman Service (https://www.financial-ombudsman.org.uk/news/fraud-scam-complaints-hit-highest-ever-level, https://www.financial-ombudsman.org.uk/news/ghost-brokers-haunting-insurance-market).

    Bildnachweis: envato