Mit Urteil vom 8. Mai 2025 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C‑697/23 eine richtungsweisende Entscheidung zur Anwendung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung getroffen. Im Fokus stand die Frage, ob ein Online-Vergleichsdienst, der Versicherungsangebote mittels eines Benotungssystems darstellt, als vergleichende Werbung im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts einzustufen ist. Die Entscheidung betrifft nicht nur den Versicherungssektor, sondern entfaltet Signalwirkung für digitale Plattformen, die Informationen zu Leistungen anderer Unternehmen aufbereiten, ohne selbst als Anbieter dieser Leistungen aufzutreten.

Vorbringen der Klägerseite

Im Ausgangsverfahren machte ein Versicherungsunternehmen geltend, dass ein auf einer Vergleichsplattform eingesetztes System zur Vergabe sogenannter Tarifnoten unzulässig sei. Die Noten würden als vermeintlich objektive Bewertung dargestellt, obwohl sie tatsächlich ein Werturteil darstellten und damit nicht den Anforderungen an einen objektiven, relevanten und nachprüfbaren Produktvergleich gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG bzw. Art. 4 Buchst. c der Richtlinie 2006/114/EG genügten. Dies führe zu einer Irreführung der Verbraucher und stelle eine unzulässige vergleichende Werbung dar. Die Klägerseite begehrte Unterlassung und Schadensersatz.

Entgegnung der Plattformbetreiber

Die beklagte Plattform wies die Vorwürfe zurück. Sie argumentierte, dass sie selbst keine Versicherungsprodukte anbiete, sondern lediglich den Markt überblickbar mache und den Nutzenden die Möglichkeit gebe, Angebote auf Grundlage transparenter Bewertungskriterien zu vergleichen. Die vergebenen Noten beruhten auf einem Punktesystem, das objektive Parameter berücksichtige. Als reiner Vermittler sehe man sich nicht im Wettbewerb mit dem bewerteten Versicherungsunternehmen und könne daher nicht dem Regime der vergleichenden Werbung unterfallen.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Der Europäische Gerichtshof stellte klar, dass die Richtlinie 2006/114/EG nur dann Anwendung findet, wenn ein Werbender als Mitbewerber im Sinne des Art. 2 Buchst. c anzusehen ist. Entscheidend ist dabei, ob zwischen dem Werbenden und dem erkennbar gemachten Unternehmen ein Wettbewerbsverhältnis besteht. Im konkreten Fall verneinte der EuGH ein solches Verhältnis zwischen einem Vergleichsportal und einem Versicherungsunternehmen. Da das Portal selbst keine Versicherungsprodukte anbietet, sondern lediglich deren Merkmale darstellt und Nutzer über einen Vermittlungsmechanismus zu den Anbietern weiterleitet, fehlt es an der erforderlichen Substituierbarkeit der Leistungen. Das Vergleichsportal tritt nicht auf demselben Markt auf wie das Versicherungsunternehmen und kann damit nicht als Mitbewerber im Sinne der Richtlinie gelten.

Folglich unterliegt ein solcher Vergleichsdienst nicht den besonderen Voraussetzungen für zulässige vergleichende Werbung, solange er selbst keine Versicherungsleistungen anbietet. Auch die Nutzung eines Benotungssystems stellt in diesem Zusammenhang keine unzulässige Werbung dar, sofern der Plattform keine Anbieterrolle zukommt.

Begründung des Urteils

Die Begründung des EuGH fußt auf der präzisen Abgrenzung zwischen einem tatsächlichen Mitbewerber und einem reinen Vermittler. Da ein Vermittlungsdienst nicht selbst Versicherungsprodukte oder -dienstleistungen anbietet, besteht im konkreten Fall kein Wettbewerbsverhältnis im rechtlichen Sinne. Der Gerichtshof betonte ausdrücklich, dass die Anwendung der Richtlinie stets voraussetzt, dass der Werbende und der erkennbar gemachte Anbieter auf demselben Markt tätig sind und ihre Leistungen zumindest teilweise substituierbar sind.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs entfaltet erhebliche praktische Relevanz für die Regulierung und Bewertung von Online-Vergleichsportalen im Verhältnis zu Versicherungsunternehmen. Indem der Gerichtshof klargestellt hat, dass ein Vergleichsdienst, der selbst keine Versicherungsprodukte anbietet, im Verhältnis zu Versicherern nicht als Mitbewerber im Sinne der Richtlinie 2006/114/EG anzusehen ist, wird eine klare Trennlinie zwischen werblichem Wettbewerb und neutraler Vermittlungstätigkeit gezogen.

Damit bestätigt der Gerichtshof die Rolle digitaler Vermittlungsdienste, die sich durch das Angebot von Vergleichsinformationen und durch die technische Ermöglichung von Vertragsabschlüssen zwar in die Wertschöpfungskette einschalten, ohne jedoch selbst als Anbieter der beworbenen Produkte zu agieren. Gleichwohl bleibt es nationalen Gerichten weiterhin vorbehalten, im Einzelfall zu prüfen, ob das konkrete Geschäftsmodell tatsächlich keine Substituierbarkeit mit den Leistungen der bewerteten Anbieter aufweist.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier: EuGH C-697/23.

Wiener Neustadt, 03.06.2025

Bildnachweis: envato

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