Eine sogenannte „All-Risk-Versicherung“ wird häufig als eine Versicherungsform verstanden, die sämtliche denkbaren Risiken abdeckt, ohne dass diese explizit benannt werden müssen. Statt einzelne Risiken aufzuführen, greift diese Versicherung für alle Schäden, sofern sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind. Dennoch existiert eine solche umfassende Absicherung in der Praxis nur in begrenztem Umfang und unter klaren Einschränkungen. In Österreich wird der Begriff rechtlich und praktisch eingegrenzt: Ein Vertrag, der buchstäblich „alles“ abdeckt, ist weder üblich noch umsetzbar. Versicherungen definieren vielmehr, was sie nicht abdecken, und setzen damit klare Grenzen für den Schutzumfang.

Die österreichische Rechtspraxis ist hier eindeutig: Versicherungsverträge decken nur jene Risiken, die im Vertrag geregelt sind – und viele Risiken sind explizit ausgeschlossen. Die zentrale Frage lautet daher: Welche Risiken bleiben unversichert, wie weit reichen die Beratungspflichten der Versicherer, und welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich daraus? Folgende Abschnitte greifen diese Fragen auf, gestützt auf wesentliche Urteile des Obersten Gerichtshofs (OGH).

Keine „All-Risk-Versicherung“: Realität vs. Mythos

Die österreichische Rechtsprechung, insbesondere die Entscheidung des OGH 26.01.2025, 7 Ob 1/05f, betont, dass es keine allgemeine „All-Risk-Versicherung“ gibt. Versicherungsnehmer dürfen daher nicht erwarten, dass eine Haushaltsversicherung sämtliche denkbaren Schäden abdeckt. Ein Beispiel ist die gängige Begrenzung von Überschwemmungsschäden, die durch Sublimits geregelt wird. Solche Begrenzungen sind marktüblich und wurden in der Entscheidung als sachlich gerechtfertigt eingestuft.

Diese Praxis findet auch Anwendung bei anderen Versicherungsarten, etwa Rechtsschutzversicherungen, wo Ausschlüsse von Gerichtsverfahren oder Verwaltungsakten häufig sind. Eine unklare Formulierung solcher Klauseln, wie in der Entscheidung des OGH 27.09.2023, 7 Ob 92/23i, kann jedoch als intransparent und benachteiligend beurteilt werden.

Beratungs- und Aufklärungspflichten: Wo liegen die Grenzen?

Die Rechtsprechung zeigt, dass Versicherer verpflichtet sind, Kunden sachkundig zu beraten, wenn dies nach den Umständen erwartet, werden kann. Gleichzeitig wird aber betont, dass die Belehrungspflichten nicht überspannt werden dürfen.

Pflichten bei erkennbaren Missverständnissen

Wenn ein Versicherungsnehmer den Schutz für ein ausdrücklich ausgeschlossenes Risiko sucht, muss der Versicherer darauf hinweisen. Ein Verstoß liegt insbesondere dann vor, wenn der Versicherungsnehmer in seinen Fehlvorstellungen bestärkt wird.

Ein Beispiel dafür bietet das Urteil des OGH 28.03.2012, 7 Ob 100/11y, in dem der Versicherungsnehmer glaubte, dass eine Versicherung Schäden durch Diebstahl umfassend deckt, obwohl dies an spezifische Verwahrungspflichten gebunden war. Hier hätte eine klare Beratung über die Ausschlussklauseln erfolgen müssen.

Vertragliche und rechtliche Grenzen

In Fällen wie in der Entscheidung des OGH 21.12.2011, 7 Ob 190/11h wird jedoch betont, dass Versicherer nicht verpflichtet sind, alle potenziellen Lücken im Versicherungsumfang zu prüfen. Stattdessen liegt es am Versicherungsnehmer, Fragen zu stellen oder eigene Bedürfnisse klar zu formulieren.

Typische Risikoausschlüsse: Beispiele aus der Praxis

Die österreichische Rechtsprechung beleuchtet zahlreiche Beispiele für Risikoausschlüsse:

Naturkatastrophen

Im Urteil des OGH 26.01.2005, 7 Ob 1/05f wurde bestätigt, dass Überschwemmungsschäden häufig nur mit einem Sublimit abgedeckt sind. Dies entspricht der Praxis, bestimmte hohe Risiken nur eingeschränkt zu versichern.

Rechtsschutzversicherungen

Im Urteil des OGH 27.09.2023, 7 Ob 92/23i hob dieser hervor, dass Klauseln zu Ausschlüssen von Verwaltungsakten präzise formuliert sein müssen. Eine missverständliche Formulierung, die den Umfang des Ausschlusses unklar lässt, wurde als intransparent und rechtswidrig eingestuft.

Verwahrungspflichten

In der Entscheidung des OGH 28.02.2012, 7 Ob 100/11y zeigte sich, wie essenziell klare Klauseln bei Verwahrungspflichten sind. Versicherer können verlangen, dass Versicherungsnehmer bestimmte Sicherheitsvorkehrungen treffen, um Deckung zu erhalten. Allerdings müssen diese Pflichten deutlich kommuniziert werden.

Lehren aus der Rechtsprechung

Für Versicherungsnehmer

  • Prüfen Sie die Bedingungen: Lesen Sie die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) aufmerksam, besonders die Abschnitte zu Ausschlüssen.
  • Stellen Sie Fragen: Klären Sie unklare Punkte frühzeitig mit dem Versicherer oder Vermittler.
  • Erwartungen anpassen: Akzeptieren Sie, dass kein Versicherungsvertrag alle Risiken abdeckt.

Für Versicherer

  • Transparenz fördern: Verwenden Sie verständliche und präzise Klauseln, um Missverständnisse zu vermeiden.
  • Schulungen anbieten: Stellen Sie sicher, dass Ihre Vermittler über aktuelle rechtliche Entwicklungen informiert sind.
  • Beratung dokumentieren: Notieren Sie wichtige Hinweise und Erklärungen, um im Streitfall abgesichert zu sein.

Für Versicherungsvermittler

  • Kundenbedarf analysieren: Ermitteln Sie die individuellen Bedürfnisse und Risiken der Kunden.
  • Proaktive Kommunikation: Weisen Sie explizit auf Ausschlüsse und Begrenzungen hin.
  • Dokumentation sicherstellen: Halten Sie schriftlich fest, welche Informationen und Empfehlungen Sie gegeben haben.
  • Weiterbildung fördern: Bleiben Sie durch Schulungen und Seminare auf dem aktuellen Stand der Rechtsprechung.

Es gibt keine Versicherung, die alle möglichen Schadensfälle abdeckt!

Die österreichische Rechtsprechung unterstreicht, dass Versicherungsnehmer, Vermittler und Versicherer eine gemeinsame Verantwortung tragen, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Versicherungsnehmer sollten sich aktiv über den Inhalt ihrer Verträge informieren, während Versicherer transparente Bedingungen schaffen sollten und eine umfassende und transparente Beratung zu ermöglichen. Eine klare Kommunikation und die sorgfältige Prüfung der Vertragsinhalte sind der Schlüssel zu einer rechtssicheren und vertrauensvollen Vertragsbeziehung.

Dies kommt auch im Grundsatz von „Treu und Glauben“, der ein elementarer Bestandteil des Versicherungsverhältnisses ist, zum Ausdruck. In der Entscheidung OGH 15.06.2016, 7 Ob 86/16x hat der Oberste Gerichtshof diesen Grundsatz besonders hervorgehoben:

„[…] Vom Obersten Gerichtshof wurde bereits mehrfach betont, dass das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Treu und Glauben beherrscht wird (RIS-Justiz RS0018055), welchen Grundsatz der Versicherungsnehmer ebenso gegen sich gelten lassen muss wie der Versicherer. Diese starke Betonung von Treu und Glauben soll der Tatsache Rechnung tragen, dass jeder der beiden Vertragspartner auf die Unterstützung durch den jeweils anderen angewiesen ist, weil er dem jeweils anderen in der einen oder anderen Weise unterlegen ist. Der Versicherungsnehmer verfügt zum Beispiel allein über die Kenntnis wesentlicher Umstände für den Vertragsschluss und die Schadensabwicklung. Der Versicherer ist dem Versicherungsnehmer durch die Beherrschung der Versicherungstechnik, seine Geschäftskunde, seine umfangreichen Erfahrungen und wegen der Sachverständigen, derer er sich bedienen kann, überlegen. Treu und Glauben beeinflussen daher das Versicherungsverhältnis in vielfacher Weise und können nach herrschender Meinung ergänzende Leistungs- oder Verhaltenspflichten schaffen (7 Ob 161/15z mwN). […]“.

Bei der Beratung und Vermittlung von Versicherungen muss, die in Österreich häufig anzutreffende „Vollkaskomentalität“ berücksichtigt werden. Eine „All-Risk-Versicherung“, die alle denkbaren Schäden abdeckt, gibt es nicht. Umso wichtiger sind klare Verträge, gute Beratung und realistische Erwartungen. Denn am Ende gilt: Nur wer weiß, was ausgeschlossen ist, weiß auch, worauf er sich wirklich verlassen kann.

Wiener Neustadt, 10.09.2025

Bildnachweis: envato

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